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Rechte

Politischer, rechtlicher und regulatorischer Rahmen

A.1

Gibt es einen rechtlichen Rahmen für die Geltung und Durchsetzung der Menschenrechte, der mit internationalen und regionalen Vereinbarungen, Gesetzen und Standards sowie mit der Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist?

Indikator 22: Bestehen eines verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Rahmens, einschließlich Kontrollverfahren, der mit internationalen und regionalen Vereinbarungen, Gesetzen und Standards im Bereich der Menschenrechte in Einklang steht, und Nachweis, dass dieser von der Regierung und anderen zuständigen Behörden respektiert und durchgesetzt wird

Die Artikel 1-19 des Grundgesetzes (GG) von 1949 sehen einen umfassenden Grundrechtsschutz vor.1 Die Verletzung dieser Grundrechte (spezifisches Verfassungsrecht) kann in Deutschland (nach Erschöpfung des Rechtswegs) mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG geltend gemacht werden.2

Deutschland hat die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und das Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (ZP I EMRK) unterzeichnet und ratifiziert.3 Das Zusatzprotokoll des ZP I EMRK sieht ein Individualbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vor. Außerdem ist Deutschland als EU-Mitgliedstaat an die EU-Grundrechtecharta (GR-Charta) gebunden.4 Nach den Voraussetzungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) können Individuen vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) u.a. wegen der Verletzung der EU-Grundrechtecharta klagen. Eine Verletzung von „EU-Grundrechten“ kann seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in „Recht auf Vergessenwerden II“ im Wege der Verfassungsbeschwerde auch vor dem BVerfG überprüft werden.5

Deutschland hat die relevanten völkerrechtlichen Verträge und die meisten Zusatzprotokolle unterzeichnet und ratifiziert.6 Dazu zählen:

  • der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) und das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe,
  • der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt),
  • das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (Anti-Rassismus-Konvention),
  • das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Frauenrechtskonvention) mit dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,
  • das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Anti-Folter-Konvention) und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe,
  • das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) und die Fakultativprotokolle; das Fakultativprotokoll zur Konvention über die Rechte des Kindes bei der Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (Kindersoldatenvertrag),
  • das Fakultativprotokoll zur Konvention über die Rechte des Kindes in einem Kommunikationsverfahren7 das Fakultativprotokoll über den Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornografie,
  • das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention) und das Fakultativprotokoll zur Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
  • das Übereinkommen gegen gewaltsames Verschwindenlassen,
  • das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention).

Art. 1 Abs. 2 des Grundgesetzes sieht ein allgemeines Bekenntnis zu den internationalen Menschenrechten vor. Art. 25 GG legt fest, dass das Völkerrecht Vorrang vor allgemeinen Bundesgesetzen hat. Grundsätzlich wird das Grundgesetz „völkerrechtsfreundlich“ ausgelegt. Deutschland kommt auch seiner Pflicht zur turnusmäßigen Abgabe von Staatenberichten nach den Menschenrechtskonventionen nach.8 Positiv ist auch hervorzuheben, dass die Staatsanwaltschaften in Deutschland Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip führen.9

Trotz des im Allgemeinen hohen menschenrechtlichen Schutzniveaus in Deutschland gibt es in einigen Bereichen Defizite. Bei der Umsetzung des UN-Sozialpakts sieht der Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen erhebliche Defizite, so z.B. beim Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Insbesondere kritisiert er die Freiwilligkeit der Maßnahmen, und die Tatsache, dass es keine effektiven Überwachungsmechanismen der Sorgfaltspflichten von Unternehmen hinsichtlich der Beachtung von Menschenrechten gibt.10 Der Ausschuss empfiehlt Deutschland die Schaffung eines rechtlichen Rahmens, der sicherstellt, dass alle in Deutschland ansässigen Unternehmen und alle Unternehmen in Gebieten, über die Deutschland Jurisdiktionsgewalt ausübt, sowohl die mit ihren Geschäftstätigkeiten in Deutschland einhergehenden Menschenrechtsverletzungen ermitteln, ihnen (auch im Ausland) vorbeugen und sie bekämpfen, als auch, dass Unternehmen für diese Verletzungen haftbar gemacht werden können.

In der Rechtsdurchsetzung gegenüber Unternehmen werden folgende Defizite kritisiert:

  • die praktischen Hürden, die den Zugang zur Justiz von Nicht-Staatsangehörigen deren Rechte mutmaßlich durch deutsche Unternehmen im Ausland verletzt wurden, einschränken, obwohl das deutsche Recht ihnen Zugang zur Justiz und zu Prozesskostenhilfe einräumt
  • das Fehlen kollektiver Rechtsdurchsetzungsmechanismen in der Strafprozessordnung, abgesehen von Verbraucherschutzklagen
  • das Fehlen einer strafrechtlichen Haftung von Konzernen im deutschen Recht
  • das Fehlen von Offenlegungsverfahren, da dies für die antragstellenden Personen den Nachweis, durch die Handlungen eines Unternehmens verletzt worden zu sein, extrem erschwert

Deutschland hat bisher außerdem das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt noch nicht ratifiziert.11 Defizite in der Umsetzung des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt gibt es insbesondere in den Bereichen des Streikverbots für Beamte und bei der Pflege älterer Menschen und Kinderarmut.12 Außerdem wird ein Lieferkettengesetz für Deutschland gefordert.13 Erste Eckpunkte für ein Gesetz für faire Lieferketten wurden vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet.14



Dürig; Maunz (2013).

Bethge; Maunz; Schmidt-Bleibtreu; Klein (2020).

Deutsches Institut für Menschenrechte (2019), S. 5.

Europäische Union (2000).

Bundesverfassungsgericht (2019).

United Nations (kein Datum).

Deutschland hat als erster europäischer Staat auch das Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention, das ein Individualbeschwerdeverfahren ermöglicht, ratifiziert.

Auswärtiges Amt (2020).

Kroker (2016).

United Nations (2018b).

Ebenda.

Ebenda.

Initiative Lieferkettengesetz (2020).

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2020).



A.2

Gibt es einen rechtlichen Rahmen, der anerkennt, dass die gleichen Rechte, die Menschen offline haben, auch online geschützt werden müssen?

Indikator 23: Beweise dafür, dass das Prinzip der Online-/Offline-Äquivalenz in Recht und Praxis akzeptiert und umgesetzt wird

Es gibt in Deutschland keine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die eine Online/Offline-Äquivalenz von Grund- und Menschenrechten festlegt. Die gleichwertige Geltung dieser Rechte wird vielmehr vorausgesetzt. Das zeigt sich sowohl im Handeln der Verwaltung, der Legislative1 als auch in der Rechtsprechung.2 Als Vertragsstaat der EMRK, Mitgliedstaat des Menschenrechtsrats und Mitgliedstaat im Europarat bekennt sich Deutschland zum Grundsatz der Online/Offline-Äquivalenz.

2018 unterstrich Deutschland sein Engagement für den Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter und übernahm den Vorsitz in der Freedom Online Coalition (FOC), die sich für die Förderung von Menschenrechten im digitalen Zeitalter einsetzt.3 Der Schutz der Menschenrechte ist auch ein wichtiges Handlungsfeld der Cyber-Außenpolitik. In den Jahren 2013 und 2014 verabschiedete die UN-Generalversammlung Resolutionen zum Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter. Sie gingen auf eine deutsch-brasilianische Initiative zurück.4 Am 5. März 2020 gab Deutschland im Namen der Mitglieder des FOC während der Generaldebatte der 43. Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf eine Erklärung zur digitalen Integration ab.5 Die Erklärung bekräftigt das Engagement des FOC für die Förderung der digitalen Integration und fordert die Regierungen auf, langfristige Maßnahmen zur Bekämpfung des Zugangs und der Nutzung des Internets zu ergreifen, um die vielfältigen digitalen Gräben zu überwinden und auch die zugrunde liegenden Ursachen anzugehen.

Obwohl Grund- und Menschenrechte in analogen und digitalen Räumen grundsätzlich den gleichen Schutz genießen, führt die Tatsache, dass diese Räume unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen existieren zu faktischen Schwierigkeiten, z.B. beim Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.

Voraussetzung für die Ausübung der Menschenrechte im Internet sind der Zugang zum Internet, der durch staatliche Infrastrukturmaßnahmen sicherzustellen ist und der Zugang zu Internet-Inhalten vor überschießender Zensur zu schützen ist. Denn gerade das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 GG als ein Rechte ermöglichendes Grundrecht steht im Internet verstärkt unter Druck.6

Die Voraussetzungen, in denen Meinungsäußerungen und Meinungsaustausch in den digitalen Kommunikationsräumen des Internets stattfinden, unterscheiden sich stark von den Voraussetzungen, die im analogen Raum gelten.

Deutschland engagiert sich aktiv im Europarat für einen gleichwertigen menschenrechtlichen Schutzstandard online.7 Ziel ist es das Internet auf der Grundlage von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu gestalten. Im Europarat will Deutschland sicherstellen, dass das Internet ein sicheres und offenes Umfeld bietet, in dem Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit ausgeübt werden können und das einen Raum für Vielfalt, Kultur, Bildung und Wissen bildet.

Online-Medienschaffende haben weitgehend dieselben Rechte und denselben Schutz wie Medienschaffende in den Print- oder Rundfunkmedien. Der offizielle Presseausweis steht jedoch nur noch professionellen Medienschaffenden zur Verfügung, d.h. solchen, deren journalistische Tätigkeit mindestens 51 % ihres Einkommens ausmachen muss.8 Dieser Ausweis ist mit Privilegien verbunden, z.B. mit der Gewährung privilegierter Zugangsrechte und auch die deutsche Strafprozessordnung räumt das Zeugnisverweigerungsrecht nur Personen ein, die (haupt-) beruflich an der Herstellung oder Verbreitung von journalistischem Material mitgewirkt haben. Diese Grenzen sind im digitalen Journalismus nicht immer trennscharf zu ziehen.9



z.B. die Anwendbarkeit von § 130 StGB.

Bundesgerichtshof (2013).

Auswärtiges Amt (2018).

United Nations (2018c); Resolution adopted by the General Assembly on 18 December 2013.

Freedom Online Coalition (2020).

Kettemann; Benedek (2020).

Council of Europe (2020).

Presseausweis (2016) mit Verweis auf: Rath, C. (01.12.2016).

§ 53 Abs. 1 S. 5 StPO.



Freiheit der Meinungsäußerung

B.2

Sind Einschränkungen der Meinungsfreiheit eng definiert, transparent, und werden sie in Übereinstimmung mit internationalen Vereinbarungen, Gesetzen und Normen umgesetzt?

Indikator 24: Rechtliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die mit internationalen und regionalen Vereinbarungen, Gesetzen und Standards in Einklang stehen, und Nachweise, dass diese von der Regierung und anderen zuständigen Behörden eingehalten werden.

Die Meinungsfreiheit ist in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG garantiert und zwar sowohl in Wort, Schrift als auch in Bildern. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt außerdem die Presse-, Berichterstattungs- und Rundfunkfreiheit. Die Meinungsfreiheit gilt nicht nur für Deutsche, sondern auch für ausländische Staatsangehörige. Es handelt sich bei der Meinungsäußerungsfreiheit also um ein sogenanntes Jedermanngrundrecht.1 Der Schutz des Art. 5 GG genügt dem Schutzumfang, den internationale und regionale völkerrechtliche Verträge zum Schutz von Menschenrechten vorsehen.

Rassistische Hetze oder Antisemitismus sind strafbar. Es ist auch verboten, Ideen des Nationalsozialismus zu verbreiten, den Holocaust zu leugnen oder die Ideologie des Nationalsozialismus zu verherrlichen.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung erfüllt zwei Funktionen: In erster Linie ist es ein Abwehrrecht, d.h. es schützt die Menschen in einer subjektiven Funktion vor dem Staat (status negativus). Außerdem geht aus dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch ein Recht auf Teilhabe als Gewährleistungspflicht des Staates (status positivus) hervor. Der Meinungsäußerungsfreiheit wohnt aber auch eine objektive Funktion inne. Letztere führt zu einem Einfluss auf das Zivilrecht, das im Lichte der Meinungsfreiheit zu interpretieren ist. Daher besteht auch ein indirekter horizontaler Effekt des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst in erster Linie das Recht zur Meinungsäußerung. Dabei geht der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG von einem weiten Begriff von Meinungen aus. Als Meinungen werden Werturteile als eine „durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerung“ verstanden.2 Neben der positiven Dimension besteht auch eine negative Meinungsfreiheit, die das Recht auf Verweigerung der Zuschreibung einer Meinung umfasst.3

Im Unterschied zu Meinungen sind Tatsachenbehauptungen einem Wahrheitsbeweis zugänglich. Damit liegt die Rechtslage bei Tatsachenbehauptungen anders. Rechtsmissbräuchliche Kritik muss sich dem Schutz der Ehre unterordnen, wenn sie hauptsächlich dem Zweck dient, Menschen zu verleumden, anstatt sich objektiv mit dem diskutierten Thema zu befassen.4 Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG lautet: „Eine Zensur findet nicht statt.“5 Daraus ergibt sich jedoch kein unabhängiges Freiheitsrecht. Vielmehr ist die Formulierung als sogenannte Schranken-Schranke zu verstehen, also als eine Einschränkung möglicher Beschränkungen der Meinungsfreiheit. Das Zensurverbot setzt regelmäßig Impulse für die Weiterentwicklung der Dogmatik zur Meinungsäußerungsfreiheit.6

Die EMRK und die Europäische Grundrechtecharta kennen keine dem Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG gleichlautende Vorschrift. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranke in der Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 GG. Anders als die Bestimmungen zum Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit in der EMRK oder dem UN-Zivilpakt nennt das Grundgesetz ausdrücklich drei Gruppen von Gesetzen, die die Meinungsfreiheit einschränken können. Art. 5 Abs. 2 GG sieht dafür die allgemeinen Gesetze, die Gesetze zum Schutz der Jugend und Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre vor.7

Nach Art. 1 Abs. 3 GG sind sowohl die Exekutive, die Legislative als auch die Judikative an Grundrechte und damit auch an Art. 5 GG gebunden. Jeder Akt der öffentlichen Gewalt muss sich an dem Grundrechtekatalog der Art. 1-19 GG messen lassen.8

Die Achtung von Menschenrechten wird von unterschiedlichen Stellen in Legislative und Exekutive, aber auch durch unabhängige Organisationen überwacht und Verstöße werden dokumentiert. Die beauftragte Person der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe hat ihren Sitz im Auswärtigen Amt. Sie beobachtet die internationalen Entwicklungen, koordiniert die Menschenrechtsarbeit mit anderen staatlichen Stellen und berät das Auswärtige Amt in menschenrechtlichen Fragstellungen. Der Deutsche Bundestag begleitet und überwacht die deutsche Menschenrechtspolitik seit 1998 durch seinen Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Im Jahr 2000 wurde in Berlin das Deutsche Institut für Menschenrechte, eine staatlich finanzierte, aber unabhängige Einrichtung, gegründet. Als nationale Menschenrechtsinstitution im Sinne der Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen soll es zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte durch Deutschland im In- und Ausland beitragen.

 



Dürig/Maunz (2013), GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 23.

Dürig/Maunz (2013), GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 47; Bundesverfassungsgericht (1958); Bundesverfassungsgericht (1982); Bundesverfassungsgericht (1994); Bundesverfassungsgericht (2009).

Ebd., GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 48.

Bundesverfassungsgericht (1995).

Artikel 5 Abs. 1, S. 3 GG.

Dürig/Maunz (2013), GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 115.

Ebd., Rn. 114.

Ebd., Rn. 107.



B.4

Unter welchen Bedingungen macht das Gesetz Plattformen und andere Anbieter von Online-Diensten für Inhalte haftbar, die von den Benutzerinnen und Benutzern auf diesen veröffentlicht oder geteilt werden?

Indikator 25: Der rechtliche Rahmen für die Vermittlerhaftung und die Regulierung von Inhalten steht im Einklang mit internationalen und regionalen Vereinbarungen, Gesetzen und Standards sowie dem Nachweis der Verhältnismäßigkeit der Umsetzung.

Auf internationaler Ebene gibt es (noch) keine spezifischen Vereinbarungen zur Providerhaftung. Der Digital Services Act der EU wird hier Leitplanken aufstellen. Die Providerhaftung in Deutschland steht im Einklang mit den allgemeinen Prinzipien, die den internationalen Regelwerken zum Schutz von Menschenrechten zu entnehmen sind.1 Sie stimmt auch im Wesentlichen überein mit den Empfehlungen des Europarates zur Rolle und Verantwortung von Staaten und Internet-Intermediären von 2018.2

Hostprovider können nach dem Telemediengesetz für illegale Inhalte haftbar gemacht werden.3 Das Gesetz unterscheidet zwischen der vollen Haftung für eigene Inhalte und der beschränkten Störerhaftung für Service-Provider und Host-Provider für fremde Inhalte.4 Zusätzliche Sperr- und Filterpflichten für Host-Provider hat der Bundesgerichtshof im Fall „Alone in the Dark“ im Jahr 2012 präzisiert.5 In diesem Fall verklagte der Spieleverlag Atari den File-Hosting-Dienst Rapidshare wegen Urheberrechtsverletzungen beim Titel ”Alone in the Dark”. Das Gericht machte Rapidshare zwar nicht für die unmittelbare Verletzung haftbar, stellte aber fest, dass Rapidshare seine Überwachungspflichten als Teil seiner Sorgfaltspflichten vernachlässigt habe.6 In einer späteren Entscheidung begründete und erweiterte der Bundesgerichtshof die Pflichten der Hosting-Anbieter weiter. Host-Provider sind demnach unter bestimmten Umständen verpflichtet, ihre eigenen Server zu überwachen und nach urheberrechtlich geschützten Inhalten zu suchen, sobald sie über eine mögliche Verletzung informiert wurden.

Im Jahr 2015 entschied der Bundesgerichtshof, dass die Sperrung einer Website als ultima ratio angeordnet werden kann, wenn dies für einen Urheberrechtsinhaber das einzige Mittel ist, um eine Rechtsverletzung auf dieser Website wirksam zu beenden.7 Damit präzisierte es die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Denn in derart gelagerten Fällen hat der Inhaber des Urheberrechts nach Prüfung aller relevanten Umstände einen Anspruch gegenüber dem Internet Service Provider, die betroffene Website zu sperren.

Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes vom September 2017 wurde die gesetzliche Haftung für Anbieter von offenen drahtlosen Netzwerken, so genannten Hotspots, weitgehend abgeschafft. Jahrelang blieb die Zahl der kostenlosen, öffentlichen Wi-Fi-Hotspots in Deutschland gering, da die Anbietenden mögliche negative rechtliche Konsequenzen befürchteten, wenn ihre Netze für illegale Aktivitäten genutzt würden. Während das neue Gesetz von Fachleuten allgemein positiv bewertet wurde, stieß es auch auf Kritik, da es den Inhabern von Urheberrechten erlauben könnte, Hotspot-Anbieter zur Sperrung bestimmter Websites oder Inhalte zu zwingen, die gegen das Urheberrecht oder andere Gesetze verstoßen.8

Spezifisch mit Blick auf die Verantwortung von Intermediären wurde 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) erlassen. Dieses verpflichtet Social-Media-Plattformen mit mehr als zwei Millionen registrierten Nutzenden in Deutschland, gemeldete Inhalte zu untersuchen und zu löschen. Wenn der markierte Inhalt offensichtlich illegal ist, muss die Plattform ihn innerhalb von 24 Stunden sperren oder entfernen; wenn er anderweitig illegal ist, muss der Inhalt innerhalb von sieben Tagen gesperrt oder entfernt werden. Das NetzDG legt dabei den Rechtswidrigkeitsbegriff von 22 Straftatbeständen zugrunde.9 Nach der Entscheidung, gemeldete Inhalte zu löschen oder zu erhalten, muss das Unternehmen sowohl die Beschwerdeführenden als auch die Nutzenden informieren. Bei einer Verletzung drohen Geldstrafen von bis zu 50 Millionen Euro.10 Vor Inkrafttreten des NetzDG sah es sich bereits scharfer Kritik ausgesetzt11 und wird auch weiterhin kontrovers diskutiert.

Durch die 2021 kommenden Novellen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes wird u.a. ein Wiederherstellungsrecht eingeführt; allerdings wird die vorgesehene Übermittlungspflicht von Plattformen von potenziell rechtswidrigen Inhalten und identifizierenden Daten der Publizierenden an eine beim Bundeskriminalamt geführte Datenbank für problematisch gehalten. Positiv zu bewerten ist die geplante Einführung eines verbesserten Datenzugangs für die Wissenschaft.

 



Vgl. Kettemann, Matthias C. (2019), S. 67.

Europarat (2018).

Bundesgerichtshof (2015a); Bundesgerichtshof (2015b).

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (2007).

Bundesgerichtshof (2012).

Ebd.

Bundesgerichtshof (2015a); Bundesgerichtshof (2015b).

Dachwitz, I. (30.06.2017).

§ 86 („Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“), § 86a („Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“), § 89a („Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“), § 91 („Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“), § 100a („Landesverräterische Fälschung“), § 111 („Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“), § 126 („Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“), § 129 („Bildung krimineller Vereinigungen“), § 129a („Bildung terroristischer Vereinigungen“), § 129b („Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland“), § 130 („Volksverhetzung“), § 131 („Gewaltdarstellung“), § 140 („Belohnung und Billigung von Straftaten“), § 166 („Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“), § 184b („Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften“) in Verbindung mit § 184d („Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien“), §§ 185 bis 187 („Beleidigung“, „Üble Nachrede“, „Verleumdung“), § 201a („Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“), § 241 („Bedrohung“) oder § 269 („Fälschung beweiserheblicher Daten“).

Heldt, A.; Kettemann, M. C.; Schulz, W. (2019), S. 23.

Ebd., S. 22 f. und S. 24 ff.



Recht auf Zugang zu Informationen

C.2

Blockiert oder filtert die Regierung den Zugang zum Internet insgesamt oder zu bestimmten Online-Diensten, Anwendungen oder Websites, und aus welchen Gründen und mit welchem Grad an Transparenz wird dies ausgeübt?

Indikator 26: Rechtlicher Rahmen für die Sperrung oder Filterung des Internetzugangs, einschließlich Transparenz- und Aufsichtsregelungen.

Indikator 27: Beweise in Regierungs- und Gerichtsentscheidungen sowie aus anderen glaubwürdigen und maßgeblichen Quellen bezüglich der Sperrung oder Filterung des Zugangs.

Indikator 28: Vorkommen, Art und Grundlage für Abschaltungen oder andere Einschränkungen der Internet-Konnektivität.

Indikator 29: Anzahl und Trend der Zugangsbeschränkungen zu Inhalten, der Zurücknahme von Domänennamen und anderer Interventionen in den letzten drei Jahren.

Es gibt grundsätzlich keine spezifische rechtliche Ermächtigung für die Sperrung oder die Filterung des Internetzugangs durch die Regierung.1 „Internet Shutdowns“ haben in Deutschland soweit ersichtlich noch nicht stattgefunden, ebenso wenig ereigneten sich Fälle staatlicher zielgerichteter Drosselung der Internetzugangsgeschwindigkeit, über die in anderen Staaten berichtet wird.2 Ein „Abschalten“ des Internets kann technisch auf unterschiedliche Weise erfolgen. Zum einen gibt es die Möglichkeit, IP-Adressen zu blockieren oder den gezielt umzuleiten („traffic shaping“), sodass Dienste nicht mehr verfügbar sind.3 Eine Drosselung kann technisch durch unterschiedliche Methoden erfolgen, beispielsweise durch „Bandbreiten- und Verkehrsmanagement“,4 bei denen eine bestimmte Kommunikation priorisiert wird, „Inline Deep-Packet Inspection“,5 das zu Latenzzeiten führt, „Portpartitionierung, die sich auf den gesamten Datenverkehr auswirkt, oder durch Routing-Pfad Veränderungen“.6 Zu Ausfällen der Internetkonnektivität durch Stromausfälle oder Überlastungen kommt es in der Regel wegen der dezentralen Struktur des Internets und der damit verbundenen Möglichkeit der Umleitung selten und wenn überhaupt nur für kurze Zeit, wie geschehen z.B. 2018 bei größten deutschen Internetknotenpunkt, DE-CIX, in Frankfurt am Main.7

Die Bundesregierung hat mit der Unterzeichnung des „Contract for the Web“8 im Jahre 2019 ihre im Koalitionsvertrag von 2018 vereinbarte Absicht bestätigt, bis 2025 sicherzustellen, dass die Bevölkerung verlässlichen und schnellen Internetzugang haben soll.9

Festzuhalten bleibt auch, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht10 das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme mitumfasst. Die Informationstechnik ist von „zentraler Bedeutung“ für die „Lebensführung“ vieler Menschen.11 Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum schließt auch die Möglichkeit zum Zugang zum Internet ein, da es die „Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ ermöglicht.12 „Damit hat sich das Internet zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht.“13 Jede Sperrung oder Filterung muss daher rechtlich begründet sein und einer grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.

Rechtliche Verpflichtungen, Inhalte zu sperren, zu filtern, oder zu löschen, ergeben sich für Internet-Diensteanbieter aus dem Telemediengesetz (TMG)14 (mit zivilrechtlicher Haftung für Internet Service Provider), § 97 Urhebergesetz (UrhG),15 den §§ 14 ff. des Markengesetzes (MarkenG)16 und § 8 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).17 In Bezug auf Minderjährige sind der am 7. November 2020 in Kraft getretene neue Medienstaatsvertrag (MStV)18 und der Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV)19 weiterhin relevant, wobei ersterer den alten Rundfunkstaatsvertrag ersetzt hat.

Sowohl durch die Verabschiedung des NetzDG, als auch durch Änderungen des TMG, hat sich die Rechtslage für Maßnahmen zur Sperrung, Filterung und Entfernung illegaler Internetinhalte weiterentwickelt. In § 3 Abs. 2 S. 1 verpflichtet das NetzDG soziale Netzwerke zur Einführung von Verfahren, die sicherstellen, dass sie "die Beschwerde unverzüglich zur Kenntnis nehmen und prüfen, ob die in der Beschwerde angezeigten Inhalte rechtswidrig sind und entfernt werden müssen oder ob der Zugang zu den Inhalten zu sperren ist". Diese Verpflichtung ist vor dem Hintergrund des § 10 TMG zu lesen, der die Anbieter von Telemediendiensten verpflichtet, den Zugang unverzüglich zu sperren oder rechtswidrige Inhalte nach Kenntnisnahme zu entfernen. Noch vor dem NetzDG konnte jeder, der in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt wurde, aufgrund eines zivilrechtlichen Anspruchs von einem Anbieter von Telemediendiensten die Offenlegung des Namens der potenziellen Tatbegehenden verlangen. In der neuen Fassung ist die Notwendigkeit eines Gerichtsbeschlusses über die Zulässigkeit einer solchen Offenlegung erwirkt worden.20

Es kommt vor, dass in Deutschland bestimmte Anwendungen, Websites oder Inhalte gesperrt werden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um strafrechtlich relevante Inhalte. Im Jahr 2009 wollte Deutschland mit dem Zugangserschwerungsgesetz die Internetanbieter dazu verpflichten, kinderpornografische Seiten zu sperren, die das Bundeskriminalamt vorher auf einen entsprechenden Index gesetzt hatte.21 Unter anderem, weil die Unrechtmäßigkeit der Internetseiten nicht von einem Richter überprüft werden musste, erntete das Gesetz erhebliche Kritik und wurde 2011 vom Bundestag inhaltlich neugestaltet.22 Die Gerichte stellen grundsätzlich sehr hohe Anforderungen an vollständige Sperrungen von Anwendungen oder Seiten.23

Eine Ausnahme bildet der Fall linksunten.indymedia.24 Im Fall linksunten.indymedia25 hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) als Gefahrenabwehrbehörde auf Grundlage des Vereinsgesetzes ein Vereinsverbot und damit faktisch ein Medienverbot gegen die Plattform ausgesprochen und wollte damit eine „Abschaltung“ erreichen.26 Dagegen klagten die vom BMI als Verein identifizierten und adressierten Personen vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Dieses wies die Klage jedoch als zulässig, aber unbegründet ab und setzte sich mit der Kernfrage der Rechtsmäßigkeit des Vereinsverbots nicht auseinander.27 Im Mai 2020 erhoben die Betroffenen beim BVerfG Verfassungsbeschwerde.28 Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Jedenfalls dürfte das BVerfG die Rechtsprechung des EGMR im Fall Ürper v. Türkei29 berücksichtigen, der in diesem Fall klarstellte, dass ein pauschales, vollständiges und unbefristetes Verbot einer Zeitung Artikel 10 EMRK verletze.

Die Sperrung von Internet-Anwendungen, Websites oder Inhalten kann durch sogenanntes DNS-Hijacking erfolgen, was IT-Fachleute jedoch als „völlig wirkungslos“ bezeichnen, da diese einfach umgangen werden könnten.30 Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, einen Proxy-Server zu benutzen, mit dem Anfragen auf die unzulässigen Angebote gefiltert oder auf eine andere Seite umgeleitet werden, oder die IP-Adresse am Router gesperrt wird. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat die unterschiedlichen Möglichkeiten 2016 in einem Sachstand analysiert.31

Zur Sperrung und Löschung illegaler Inhalte können Dienstleistungsanbieter durch Gerichtsurteile verpflichtet werden. Die Gerichtsverfahren finden in der Regel öffentlich statt. Für das Löschen von Inhalten sind nach den Vorgaben E-Commerce-RL, dem Telemediengesetz (TMG) und dem NetzDG, Private unter gewissen Umständen verantwortlich. Der § 2 NetzDG sieht Berichtspflichten vor. Nach § 3 Abs. 6 NetzDG haben Social Media-Plattformen die Möglichkeit, Institutionen der regulierten Selbstregulierung zu etablieren. Die Anforderungen für die Einrichtung einer geregelten Selbstregulierung sind insbesondere: Kompetenz und Unabhängigkeit der Selbstregulierungsstelle, Schnelligkeit und Transparenz des Prozesses, sowie dass die Selbstregulierungsstelle von mehreren Anbietern sozialer Netzwerke oder Institutionen getragen wird, die eine sachgerechte Ausstattung der Selbstregulierungsstelle sicherstellen. Außerdem muss sie für den Beitritt weiterer Anbieter, insbesondere sozialer Netzwerke, offenstehen.

Plattformen moderieren Inhalte vorrangig nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen/Gemeinschaftsstandards. Dabei kam es in der Vergangenheit auch zu einer Löschung zulässiger Meinungsäußerungen, die in Deutschland in gerichtlichen Verfahren angegriffen werden können (OLG (Oberlandesgericht) München, Urteil vom 07.01.2020, 18. Zivilsenat, 18 U 1491/19; OLG Oldenburg, Urteil vom 1.7.2019 – 13 W 16/19)32 Das BVerfG hat im Mai 2019 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren die Löschung eines Beitrags und Sperrung des Facebook Accounts der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ für unzulässig erklärt.33

In Bezug auf Art. 5 Abs. 1 GG stellten deutsche Gerichte fest, dass Facebook ein öffentlicher Marktplatz für den Informations- und Meinungsaustausch ist34 und daher – in Anwendung der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte – sicherstellen muss, dass nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zulässige Meinungsäußerungen nicht gelöscht werden.35 Deutsche Gerichte argumentierten, dass Facebook ein „Quasi-Monopol“36 entwickelt habe und dass es sich um ein privates Unternehmen handle, das einen öffentlichen Kommunikationsraum anbiete und die Rechte der Nutzenden aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG mittelbar schützen müsse.37 Daher wäre es Plattformen im Allgemeinen38 nicht gestattet, „zulässige Meinungsäußerungen“ zu entfernen.39 Ebenso dürften die Gemeinschaftsstandards solche Inhalte nicht ausschließen.40 Die deutschen Gerichte gehen in diesem Zusammenhang regelmäßig von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus und legen die Gemeinschaftsstandards der Plattformen dementsprechend aus.

Mit den Zielen der Sicherung kommunikativer Chancengleichheit offline und online und der Umsetzung der 2018 novellierten europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) wurde 2020 nach langen Verhandlungen der Medienstaatsvertrag (MStV)41 ratifiziert. Der neue MStV enthält verstärkte Transparenzvorgaben und Diskriminierungsverbote für meinungsrelevante Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Medienintermediäre wie zum Beispiel Smart-Speaker, Suchmaschinen, Smart-TVs und Kabelnetzbetreiber. Auch der Begriff des „Rundfunk“ wurde zeitgemäß angepasst. Der Annahme des MStV sowie der Umsetzung der beiden urheberrechtlichen Richtlinien (EU) 2019/790 (DSM-RL) und (EU) 2019/789 (Online-SatCab-RL) vom 17. April 2019 gingen öffentliche Stellungnahmeprozesse für beteiligte Akteure und Institutionen voraus.



Freedom House (2019).

Mühlenmeier, L. (06.03.2020).

Voelsen, Daniel (2019).

Mühlenmeier, L. (2020).

Ebd.

Ebd.

Bünte, O. (10.04.2018).

Contract for the Web (2019).

Ebd., Principle 1: “1. By setting and tracking ambitious policy goals 1GB of mobile data costs no more than 2 % of average monthly income by 2025. 2. Access to broadband internet is available for at least 90 % of citizens by 2030, and the gap towards that target is halved by 2025. 3. At least 70 % of youth over 10 years old and adults have In-formation and Communication Technology (ICT) skills by 2025.”

Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG.

BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2008, Rn. 171, 232.

BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010, 1 BvL 1/09, Rn 135.

BGH, Urteil des III. Zivilsenats vom 24.1.2013 - III ZR 98/12, Rn. 17.

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (2007).

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (1965).

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (1994).

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (2004).

Landesregierung Rheinland-Pfalz (2020).

Kommission für Jugendmedienschutz (2020).

Kettemann, M. C. (2019), S. 9.

Verband der deutschen Internetwirtschaft eco e.V. (2009).

Schäfers, J. (25.05.2011).

Tagesspiegel (26.11.2015).

Laufer, Daniel (29.01.2020); Thurn, J. P.; Werdermann, D. (31.1.2020).

Ebd.

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2020).

Bundesverwaltungsgericht (2020).

Reuter, M. (09.06.2020).

European Court of Human Rights (2009), Ürper et al. v. Türkei (2009), para. 44 und 45: „The practice of banning the future publication of entire periodicals on the basis of section 6(5) of Law no. 3713 went beyond any notion of “necessary” restraint in a democratic society and, instead, amounted to censorship (…) There has accordingly been a violation of Article 10 of the Convention.“ https://hudoc.echr.coe.int/eng#{"itemid":["001-95201"]}.

Biermann, K. (13.02.2009): „Zitat Hannes Federrath , IT-Sicherheitsforscher an der Universität Regensburg und vom Unterausschuss Neue Medien des Bundestags als Experte zu dem Thema geladen: Solche sogenannten DNS-Sperren seien "völlig wirkungslos" und erschwerten den Zugang zu Kinderpornografie in keiner Form. Viel zu leicht ließen sie sich auch von Laien umgehen. "Diese Technik schadet nichts, sie nützt aber auch nichts."

Deutscher Bundestag (2016a).

Oberlandesgericht Niedersachsen (2019).

Bundesverfassungsgericht (2019b).

OLG Frankfurt/Main - 2017, 16 U 255/16, para. 28.

OLG München (2018) - 18 W 858/18.

OLG Dresden (2018) - 4 W 577/18.

OLG Stuttgart (2018.- 4 W 63/18, para. 73.

OLG München (2018) - 18 W 1955/18 para. 19 f.- Mögliche Ausnahme für Subforen.

Beispielsweise: OLG München (2018) - 18 W 858/18 para. 30; 18 W 1873/18 para. 21; 18 W 1383/18 para. 20f.; 18 W 1294/18 para. 28; LG Karlsruhe, 2018 - 11 O 54/18 para. 12; LG Frankfurt/Main, 2018 - 2-03 O 182/18 para. 16; LG Bamberg, 2018 - 2 O 248/18 para. 86, KG Berlin, 2019 - 10 W 172/18 para. 17.

Mit detaillierter rechtsvergleichender Analyse Deutschland/USA sh.: Kettemann, M. C.; Tiedeke, A. S. (2020).

Niedersächsische Landesmedienanstalt (2020).



C.4

Werden Einzelpersonen, Journalistinnen und Journalisten oder andere Online-/Medienakteure willkürlich festgenommen, strafrechtlich verfolgt oder eingeschüchtert, weil sie online auf Informationen zugreifen?

Indikator 30: Umfang und Art der gesetzlichen Bestimmungen und der Praxis.

Im Journalismus tätige Personen sind in Deutschland grundsätzlich umfassend vor staatlichen Eingriffen geschützt. Sie genießen als Teil der Presse den Schutz der Pressefreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 3 GG. Diese ist auch auf das Internet anzuwenden.1

Grundsätzlich ist (investigativer) Journalismus in Deutschland uneingeschränkt möglich. Allerdings steht § 201 StGB in der Kritik, die Möglichkeiten für (legalen) investigativen Journalismus einzuschränken.2 Anders als bei anderen Berufsgeheimnisträgergruppen ist kein genereller Schutz im digitalen Raum vorgesehen. Im Jahr 2015 sahen sich beispielsweise zwei Journalisten von Netzpolitik.org kurzzeitig mit einem Strafverfahren wegen angeblichen Hochverrats konfrontiert. Im Nachgang kündigte der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas einen Gesetzentwurf an,3 der Medienschaffende ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Hochverratsbestimmung im Strafgesetzbuch ausnehmen soll. Zu einer Reform ist es bislang allerdings nicht gekommen.

Es sind kaum Fälle von direkter physischer Einschüchterung oder Gewalt gegen Medienschaffende von staatlicher Seite bekannt. Zu nennen wäre eine Razzia gegen den Verein „Zwiebelfreunde“ – eine Vereinigung aktiver Personen, die Tools zur Förderung der Online-Anonymität propagiert –, die ein Gericht später für illegal erklärte.4 Positive staatliche Pflichten zum Schutz von Medienschaffenden gehen darüber hinaus und umfassen auch die Schulungen der Polizei zum rechtewahrenden Umgang mit diesen.

Ein jüngeres Beispiel für ein Vorgehen eines Bundesministeriums gegen die Presse stammt aus dem Juni 2020. Der Bundesinnenminister kündigte öffentlich an, Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen Die Tageszeitung (taz) und die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah an. Als Kolumne veröffentlichte sie einen Beitrag mit dem Titel: „Abschaffung der Polizei – All cops are berufsunfähig“. Zuvor hatten bereits die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet5 und beim Deutschen Presserat Beschwerde eingereicht.6

Staaten haben aber auch die Pflicht, Medienschaffende vor Einschüchterungen durch Dritte zu schützen. Dies trifft besonders auf jene zu, die über die rechte Szene berichten.7 Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), berichtet: „Bedrohungen sind keine Einzelfälle. Es sind viele.8 Das gelte besonders bei Themen wie Migration und Integration. Beleidigungen und Verleumdungen gehören seit Jahren zum Alltag. Der WDR-Journalist Restle sagt, er erhalte fast nach jeder „Monitor“-Sendung oder jedem „Tagesthemen“-Kommentar Drohungen. „Das nehme ich alles nur sehr begrenzt ernst.“ Dass dies „quasi zum Normalfall“ geworden sei, sei allerdings bedenklich.9

 

Indikator 31: Anzahl willkürlicher Festnahmen und Strafverfolgungen wegen des Zugangs zu Inhalten, die unter internationalen Vereinbarungen über die Umstände und Kriterien für zulässige Beschränkungen nicht unrechtmäßig sind.

Generell können Einzelpersonen, Medienschaffende oder andere Online-/Medienschaffende in Deutschland online Informationen einsehen und ihrer journalistischen Arbeit nachgehen, ohne willkürliche Festnahmen oder eine Strafverfolgung fürchten zu müssen. Es gibt keine Zahlen zu willkürlichen Festnahmen oder Strafverfolgungen. Es gibt allerdings Einzelfälle, in denen Gerichte festgestellt haben, dass Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Medienschaffende unrechtmäßig waren. Dazu zählt auch das Beispiel der „Zwiebelfreunde“.10 Nach Kritik von Menschen, die sich für Pressefreiheit und Internetrechte engagieren, entschied das Landgericht München, dass die Durchsuchungen und Beschlagnahmen illegal seien und ordnete die Rückgabe des gesamten beschlagnahmten Materials an.11

Das seit 2016 umstrittene BND-Gesetz (Gesetz über den Bundesnachrichtendienst), das es dem deutschen Auslandsgeheimdienst ermöglichte, legal die gesamte Kommunikation von Medienschaffenden und ganzen Redaktionen oder Verlagshäusern im außereuropäischen Ausland zu überwachen,12 wurde im Mai 2020 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.13 Der Gesetzgeber hat jetzt bis 2021 Zeit, nachzubessern. Insbesondere soll die vertrauliche Kommunikation bestimmter Berufsgruppen (Rechtsanwaltschaft und Medienschaffende) in Zukunft besonders geschützt werden. Mittlerweile wird ein zentrales Kontrollgremium gefordert.14

Es gibt jedoch Erkenntnisse darüber, dass Medienschaffende insbesondere von Personen aus dem rechtsradikalen Spektrum bedroht werden.15 Das European Center for Press and Media Freedom (ECPMF) berichtet in einer Studie: „Von Anfang 2015 bis März 2020 registrierte das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit 119 gewaltsame Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland. Trotz schwankender Fallzahlen blieb der Ursprung der Attacken über die Jahre hinweg gleich: Die Mehrheit, 77 Prozent aller Vorfälle zwischen 2015 und 2020, kam aus dem rechten Lager.“16



Sh. Indikator 23.

Klintworth, S. M. (2014); Eichhoff, J. (2010).

taz (01.08.2015).

Beck aktuell (2018): „Es besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für das Auffinden relevanter Daten. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die Betroffenen, deren Verein Zwiebelfreunde e.V. oder die Gruppierung „Riseup Networks“ auch nur zum Umfeld der unbekannten Täter gehören. Es ist zudem auch nicht unmittelbar ersichtlich, dass sich bei ihnen Informationen zum Täterumfeld oder zu den Tätern finden lassen.“

ZEIT Online (21. 06 2020).

Gewerkschaft der Polizei (2020).

Reporter ohne Grenzen (2019).

Gehringer, T. (2019).

ZEIT Online (2019).

Vgl. Indikator 30, vgl. auch Landesgericht München (2018): „Es besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für das Auffinden relevanter Daten. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die Betroffenen, deren Verein Zwiebelfreunde e.V. oder die Gruppierung “Riseup Networks“ auch nur zum Umfeld der unbekannten Täter gehören. Es ist zudem auch nicht unmittelbar ersichtlich, dass sich bei ihnen Informationen zum Täterumfeld oder zu den Tätern finden lassen.“

Ebd.

Reporter ohne Grenzen (2020).

Bundesverfassungsgericht (2020).

Hoppenstedt, M.; Knobbe, M. (16. 06 2020).

European Centre for Press & Media Freedom (2020), S. 27. „In der Vergangenheit erlebten viele Betroffene einen unzureichenden Schutz und teilweise sogar Behinderungen der Arbeit durch die Polizei. Neben der Sensibilität ist daher auch fundiertes Wissen im Presserecht erforderlich. Gerade Fachjournalistinnen und -journalisten, die konsequent über rechte Aktivitäten berichten, sind immer wieder mit Fehleinschätzungen und Fehlverhalten der Polizei konfrontiert (vgl. Röpke, A. (2018)). Oftmals, so berichten es Fachjournalistinnen und -journalisten, halten Polizeikräfte Angriffe von Neonazis für politische Streitereien zwischen Linken und Rechten.“

European Centre for Press & Media Freedom (2020), S. 3.



Vereinigungsfreiheit und das Recht, an öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen

D.2

Können sich Nichtregierungsorganisationen frei online organisieren?

Indikator 32: Nachweis einer Online-Organisation und keine unzulässige Einmischung in eine solche Organisation.

Die Vereinigungsfreiheit ist in Art. 9 GG verankert und wird in der Praxis respektiert. Ausgenommen sind Vereinigungen, die sich gegen die demokratische Ordnung richten, z.B. im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Das gilt auch online. In Deutschland gibt es eine lebendige Sphäre von NGOs und Verbänden, die frei agieren. Viele davon sind online organisiert. Auch Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände sind in der Regel frei organisiert und spielen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des deutschen Wirtschaftsmodells. Eine Ausnahme bildet der Fall linksunten.indymedia.1

Im Jahr 2019 wurde mehreren (politischen) NGOs der steuerbefreite Status als gemeinnützige Organisationen aberkannt (§ 52 Abgabenordnung AO), nachdem der Bundesfinanzhof entschieden hatte, dass sie sich an Parteipolitik beteiligen. Dazu zählen unter anderem Attac2 und Campact3. Der Fall Attac wird momentan gerichtlich überprüft und der Verein hat angekündigt, notfalls bis vor das Verfassungsgericht zu ziehen, um zum einen den Status der Gemeinnützigkeit wiederzubekommen, zum anderen, um eine Rechtssicherheit die Frage betreffend, was als gemeinnützig gilt, zu schaffen.4 Rund 80 Organisationen haben sich in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ zusammengeschlossen, denn der Status der Gemeinnützigkeit könnte einer Vielzahl von Organisationen aberkannt werden. Zu der Allianz gehören Amnesty International ebenso wie „Brot für die Welt“ oder der „Lesben- und Schwulenverband Deutschland“.



Verband der deutschen Internetwirtschaft eco e.V. (2009); Thurn, J. P.; Werdermann, D. (31.01.2020); Reuter, M. (09.06.2020); Laufer, D. (2020); Tagesspiegel. (26.11.2015); Schäfers, J. (25.05.2011).

Wieduwilt, H. (26.02.2019).

Süddeutsche Zeitung (21.10.2019).

Geers, T. (06.03.2019).



D.3

Gibt es Regierungsrichtlinien für E-Government und/oder E-Partizipation, die die Teilnahme an Regierungs- und öffentlichen Prozessen fördern?

Indikator 33: Vorhandensein von Regierungspolitiken für E-Government und E-Partizipation, einschließlich der Nutzung des Internets für öffentliche Konsultationen.

E-Partizipation und E-Government sind Teilbereiche der staatlichen Digitalisierungs­strategie. Im Rahmen des Prozesses zur Entwicklung des Weißbuches „Digitale Plattformen“ (2017), sowie der Künstlichen Intelligenz (KI)-Strategie der Bundesregierung wurden umfangreiche öffentliche Online-Konsultationen unter Beteiligung unterschiedlicher Interessengruppen durchgeführt.

Im Jahr 2013 hat der Bundestag ein Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung beschlossen, das auch E-Government-Gesetz (EGovG) genannt wird.1 In der Begründung heißt es, es sei „ein Gebot der Bürgernähe, dass staatliche Verwaltungen Bürgerinnen und Bürgern im privaten, ehrenamtlichen und wirtschaftlichen Alltag die Möglichkeiten zur Nutzung elektronischer Dienste zu erleichtern“ um damit die elektronische Kommunikation mit der Verwaltung zu verbessern.2 Das Gesetz gilt für die Einrichtungen des Bundes und für die Behörden der Länder und Kommunen, wenn diese Bundesrecht anwenden. Es gibt einige Ausnahmen, z.B. für die Justizverwaltung. Das Gesetz verpflichtet jede Behörde, einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente bereitzuhalten. Die Behörden sollen u.a. in öffentlich zugänglichen Netzen über ihre Verfahren informieren, ihre Rechnungen elektronisch empfangen, Akten elektronisch führen, Verwaltungsabläufe optimieren und standardisieren und Daten, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhoben haben, zum Datenabruf in öffentlich zugängliche Netze bereitstellen.

Mit einem weiteren Gesetz, dem Onlinezugangsgesetz (OZG), hat der Bundestag 2017 Vorschriften erlassen, die den Onlinezugang zu Verwaltungsleistungen verbessern sollen.3 Danach sollen Bund und Länder bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anbieten und die Portale von Bund und Ländern zu einem Portalverbund verknüpfen. Während das E-Government-Gesetz nach Auffassung der Bundesregierung ein Ermöglichungsgesetz ist, verpflichtet das Onlinezugangsgesetz Bund und Länder zu konkreten Maßnahmen.4

Im Jahr 2019 hat die Bundesregierung den vom Gesetzgeber geforderten Bericht zur Evaluierung des E‑Government-Gesetzes und begleitender Vorschriften vorgelegt.5 Eine Befragung von Mitarbeitenden in der Verwaltung ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Umsetzung des Gesetzes insgesamt noch gering ist (ein Viertel der befragten Verwaltungen habe sich auch nicht in der Pflicht gesehen, das Gesetz umzusetzen).6 Mehrheitlich vertraten befragte Fachleute die Auffassung, dass das Gesetz trotzdem eine positive Anstoßwirkung auf die Digitalisierung der Verwaltung habe. Für die weitere Implementation des Gesetzes wurden im Rahmen der Evaluation von der Unternehmensberatung Kienbaum Consultants International verschiedene Strategien unterhalb veränderter Gesetzgebung angeregt. Die Bundesregierung verweist darauf, dass durch die Fristsetzung zum Jahresende 2022 im Onlinezugangsgesetz ein erheblicher Handlungsdruck gegeben sei.7

Neben der Digitalisierung der Verwaltung werden im Bundestag auch die veränderten Partizipationschancen durch Online-Bevölkerungsbeteiligung bei der Parlamentsarbeit diskutiert. Dazu hat das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages 2017 einen umfangreichen Bericht vorgelegt.8 Bereits seit 2005 besteht beim Bundestag eine Plattform für elektronische Petitionen als eine Ausgestaltung des im Grundgesetz verankerten Petitionsrechts. Onlineforen gehören zu den frühen Formaten der Bürgerbeteiligung, sie werden auch weiterhin eingesetzt und ergänzt durch Onlinekonsultationen, die typischerweise eine Dauer von wenigen Wochen haben.

Die Bundesregierung hat mehrere Strategien beschlossen, die die Themenbereiche E-Government und E-Partizipation berühren. Dazu gehören die Digitale Agenda 2014-2017, die vorsieht, dass Deutschland als innovativer Staat digitale Dienstleistungen der Verwaltung für die Bevölkerung sowie Unternehmen anbieten soll. Außerdem hat die Agenda den Anspruch digitale Lebenswelten in der Gesellschaft zu gestalten und in digitalen Formaten mit gesellschaftlichen Gruppen in den Dialog zu treten. Die vierte Auflage der Umsetzungsstrategie Digitalisierung und die Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung von 2018 setzte die Ziele, KI für hoheitliche Aufgaben zu nutzen und Kompetenzen der Verwaltung anzupassen. Dazu plant die Bundesregierung beim Einsatz von KI in der Verwaltung eine Vorreiterrolle einzunehmen und damit zur Verbesserung von Effizienz, Qualität und Sicherheit von Verwaltungsdienstleistungen und die Bereitstellung offener Verwaltungsdaten beizutragen. Konkret ist in diesem Zusammenhang eine Evaluierung des ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes (“Offene-Daten-Gesetz") geplant. Das Weißbuch „Digitale Plattformen“9 (2017) sieht Schritte in die Richtung einer „Digitalen Ordnungspolitik für Wachstum, Innovation, Wettbewerb und Teilhabe“ vor. Konkret geplant ist der Entwurf eines Vertrauensdienstegesetzes (VDG). Es soll die Verordnung – wo nötig – ergänzen bzw. konkretisieren, um Vertrauensdienste-Anbietenden und -Nutzenden die Anwendung der – allgemein gehaltenen – eIDAS-Verordnung zu erleichtern und so Rechtssicherheit zu schaffen“10 Damit sollen Online-Geschäftsabschlüsse und E-Government umfassender, einfacher und sicherer zu gestalten sein.

Für jene Bereiche, die aufgrund gesetzlicher Aufträge auf Bundesebene Daten erheben und veröffentlichen, hat sich das Modell der Forschungsdatenzentren etabliert. Als wichtiger Dienstleister für die Zurverfügungstellung von Geodaten fungiert etwas das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, wobei selbst hier für nicht vom Bund finanzierte Einrichtungen ein umfassender Zugang nicht einfach ist. Hinsichtlich anderer forschungsrelevanter Daten bestehen große Hürden im Zugang und in der Erzeugung, die nicht primär auf datenschutzrechtliche Herausforderungen zurückzuführen sind.

Indikator 34: Werte/Rankings im Index der E-Partizipation der UNDESA.

Das UN Department of Economic and Social Affairs (UNDESA) beobachtet die Entwicklung des E‑Government durch Umfragen bei den Regierungen und legt dazu seit 2001 regelmäßig Berichte vor. Der jüngste Bericht ist von 2018; ein neuer Bericht ist in Vorbereitung.11 Im Mittelpunkt steht der E-Government Delevopment Index (EGDI), der zwischen 0 und 1 z-standardisiert ist.12 Mit einem Wert von 0,8765 erreicht Deutschland im Jahre 2018 international den Rang 12; zwei Jahre zuvor war es noch Rang 15.13 Der EGDI wird gemittelt aus den Subindizes OSI Online Service Index (0,306), HCI Human Capital Index (0,9036) und TII Telecommunication Infrastructure Index (0,7952).

In der gleichen Studie wird auch ein Index für E-Partizipation (EPI) gebildet, der die elektronische Bereitstellung von Informationen, Online-Konsultationen und Online-Entscheidungsprozessen mit direkter Beteiligung der Bevölkerung umfasst. Hier erreicht Deutschland Rang 23 mit einem Wert von 0,9213. Im 9-Punkte-Plan für ein digitales Deutschland sieht der Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik, Bundes-Chief Information Officer (CIO) Dr. Markus Richter, Maßnahmen vor, die erste Schritte in Richtung einer Verbesserung skizzieren. Im Ergebnis wird es jedoch auf die konkrete Umsetzung der Ziele ankommen.



Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2013).

Deutscher Bundestag (2002), S. 1 f.

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz; Bundesamt für Justiz (2017).

Deutscher Bundestag (2019), S. 8.

Ebd.

Ebd., S.5.

Ebd., S.8.

Vgl. zum Folgenden: Deutscher Bundestag (2017).

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2017).

Ebd., S. 72 f.

United Nations (2001-2020).

Die z-Standardisierung erfasst die Differenz eines Messwertes zum Mittelwert und setzt diese in Relation zur Standardabweichung. Dadurch ist der Index nur ein Mittel zum Vergleich innerhalb einer Erhebung, er kann aber wegen des Bezuges zum Mittelwert keine Auskunft über die absolute Veränderung in einem Land geben.

United Nations (2018a), S. 89.



Das Recht auf Privatsphäre

E.2

Ist der Schutz personenbezogener Daten gegenüber Regierungen, Unternehmen und anderen Organisationen gesetzlich garantiert und in der Praxis durchgesetzt, einschließlich des Rechts auf Zugang zu den vorhandenen Informationen und auf Rechtsbehelfe?

Indikator 35: Rechtlicher Rahmen für den Datenschutz, einschließlich Überwachungsmechanismen und Rechtsbehelfe, und Nachweis, dass er von der Regierung und anderen zuständigen Behörden respektiert und durchgesetzt wird.

Indikator 36: Rechtsrahmen für die kommerzielle Nutzung personenbezogener Daten und die internationale Datenübertragung/Sicherheit, einschließlich Überwachungsmechanismen und Rechtsmittel.

Indikator 37: Existenz und Befugnisse einer unabhängigen Datenschutzbehörde oder einer ähnlichen Einrichtung.

Datenschutz ist in Deutschland nach der Verfassung im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG garantiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sog. Volkszählungsurteil von 19831 festgelegt, dass ein Eingriff in das Recht auf informelle Selbstbestimmung nur auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen darf, das auch dem Datenschutz Rechnung trägt. Jede staatliche Erfassung von Daten, die Datennutzung, das Datenabfangen und Speichern bedarf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, die im Einklang mit der Verfassung stehen muss. Dazu zählen Befugnisse in den Polizeirechten der Bundesländer (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG)/Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG)), ebenso wie solche in der Strafprozessordnung (z.B. §§ 100a StPO ff. und § 110 StPO). Staatliche Maßnahmen können vor den Verwaltungsgerichten überprüft werden. In Deutschland gilt seit dem 25. Mai 2018 außerdem die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO),2 die – wie im Datenschutzrecht generell – zu einer starken europäischen Überprägung der Materie geführt hat.

Die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen wird von den Datenschutzbeauftragten der Länder3 und dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) überwacht. Durch die föderale Organisation der Länder in Deutschland kommt es bei der Aufsicht zu einer föderalen Zersplitterung vieler einzelner Landesdatenschutzbehörden. Die übrigen EU-Mitgliedstaaten haben hingegen in der Regel zentrale Aufsichtsbehörden.

Bei der Ausübung seines Amtes ist der BfDI seit 2016 als „eigenständige oberste Bundesbehörde“4 weisungsunabhängig und ausschließlich den Gesetzen unterworfen.5 Der BfDI wird insgesamt von ca. 220 Mitarbeitenden bei seiner Arbeit unterstützt.6

Der BfDI hat umfassende Untersuchungsbefugnisse. Das bedeutet konkret, dass „alle öffentlichen Stellen des Bundes und Anbietende von Post- oder Telekommunikationsdiensten“7 verpflichtet sind, den BfDI bei seiner Arbeit zu unterstützen.8 Dazu zählt, dass sie seine Fragen beantworten, ihm umfassende Akteneinsicht und Einsicht in gespeicherte Daten und die Funktionsweise von Datenverarbeitungsprogramme gewähren müssen und der BfDI ein uneingeschränktes Zutrittsrecht genießt (§ 16 III Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Ausnahmen u.U. § 29 III BDSG). Kontrollen können auch anlasslos durchgeführt werden.9

Stellt der BfDI Datenschutzverstöße fest, kann er Maßnahmen ergreifen, die von einer Warnung oder Verwarnung gegenüber dem Verantwortlichen oder Auftragsdatenverarbeiter, bis zu einem Verbot der Datenverarbeitung und einer Geldbuße reichen, ergreifen.10 Die Maßnahmen sind auch gegenüber Behörden und öffentlichen Stellen verbindlich, was eine deutliche Verbesserung des Datenschutzniveaus im Vergleich zu der früheren Möglichkeit der Beanstandung darstellt.11 Die Anordnungen des Bundesbeauftragten sind vor den Verwaltungsgerichten überprüfbar.

Unternehmen haben nach der DSGVO unter bestimmten Voraussetzungen einen Datenschutzbeauftragten zu benennen. Die kommerzielle Nutzung von Daten wird ebenfalls von der DSGVO und dem BDSG geregelt, auch hier gilt ebenfalls vorrangig als „sicherste Variante“ das Prinzip der Einwilligung.12 Darüber hinaus werden insbesondere Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz in diesem Zusammenhang relevant.13 Beschwerden können wiederum bei den Datenschutzbehörden gemeldet werden. Überprüft wird die Verletzung von Datenschutzbestimmungen durch die Gerichte.14

Mit dem Urteil des EuGH vom 16. Juli 2020 in einem Vorabentscheidungsverfahren in der Rechtssache C-311/18 (Schrems II) ist eine rechtmäßige Übertragung von personenbezogenen Daten in die USA auf Grundlage der sogenannten Privacy Shields (EU-Kommissionsbeschluss 2016/1250) nicht mehr möglich. Die Übermittlung von Daten auf Grundlage der sog. Standardvertragsklauseln (SCCs), die auf den Beschluss der Kommission 2010/87/EG zurückgehen, soll jedoch unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin rechtmäßig sein.15 Die Voraussetzungen sind, dass die Daten in dem Drittland „ein Schutzniveau genießen, das dem in der Europäischen Union durch diese Verordnung im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Niveau der Sache nach gleichwertig ist. Bei der insoweit im Zusammenhang mit einer solchen Übermittlung vorzunehmenden Beurteilung sind insbesondere die vertraglichen Regelungen zu berücksichtigen, die zwischen dem in der Europäischen Union ansässigen Verantwortlichen bzw. seinem dort ansässigen Auftragsverarbeiter und dem im betreffenden Drittland ansässigen Empfänger der Übermittlung vereinbart wurden, sowie, was einen etwaigen Zugriff der Behörden dieses Drittlands auf die übermittelten personenbezogenen Daten betrifft, die maßgeblichen Elemente der Rechtsordnung dieses Landes, insbesondere die in Art. 45 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 genannten Elemente.“16 Das führt dazu, dass gegebenenfalls Einzelfallprüfungen notwendig werden.17

Der BfDI begrüßte die Stärkung der europäischen Grundrechte durch das Urteil und kündigte seine Unterstützung bei der Umsetzung der neuen Vorgaben an.18 Obwohl der Gerichtshof die SCCs nicht per se für unzureichend erklärt hat, bleibt es fraglich, ob US-amerikanische Unternehmen überhaupt ein gleichwertiges Schutzniveau garantieren können. Zur Unterstützung bei der Umsetzung des Urteils hat der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) FAQ ausgearbeitet und veröffentlicht.19



Bundesverfassungsgericht (1983), Az.: 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83.

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2018).

Datenschutzkonferenz (2020).

Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (2015).

Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (2020b).

Ebd.

Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (2020b).

Ebd.

Ebd.

Ebd.

Ebd.

Uecker, P. (2019).

Körner, M. (2019).

z.B. LG Karlsruhe, Urteil vom 2.8.2019 – 8 O 26/19, ZD 2019 und KG, Urteil vom 20.12.2019 - 5 U 9/18 - 2019.

Europäische Union (2016c).

Ebd., Tenor (2.).

Ebd., para. 134.

Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (2020a).

European Data Protection Board (2020).



E.3

Sind die Befugnisse der Strafverfolgungs- und anderer Behörden für das rechtmäßige Abfangen von Daten von Benutzerinnen und Benutzern notwendig, verhältnismäßig und auf Umstände beschränkt, die mit internationalen und regionalen Vereinbarungen, Gesetzen und Normen vereinbar sind?

Indikator 38: Rechtsrahmen für das rechtmäßige Abfangen von Daten, einschließlich unabhängiger Aufsicht und Transparenz, sowie Nachweise für die Umsetzung durch die Regierung und andere zuständige Behörden.

Der Datenzugriff, das Abfangen von Daten, die Datenspeicherung und insbesondere die Vorratsdatenspeicherung sind in Deutschland gesetzlich geregelt und werden sowohl vom BfDI als auch von den Gerichten überwacht.

Die gesetzliche Grundlage der Online-Durchsuchung in Deutschland ist seit Inkrafttreten des Art. 3 des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens am 24. August 20171 der neue § 100b StPO. Beim BVerfG sind fünf Verfassungsbeschwerden anhängig, die die gesetzliche Änderung für verfassungswidrig halten.2 Im Jahr 2008 hat das BVerfG3 Folgendes entschieden:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, (…) ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen (…)“.4 Sie ist „grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Das Gesetz, das zu einem solchen Eingriff ermächtigt, muss Vorkehrungen enthalten, um den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen.“5

Nach längeren Verhandlungen für ein Gesetz zur Ausweitung der Möglichkeiten des Einsatzes des sogenannten „Staatstrojaners“6 einigte sich die große Koalition im Herbst 2020 auf einen Entwurf für ein Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts.7 Der Entwurf erntete Kritik von vielen Seiten und die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat bereits angekündigt bei Inkrafttreten gegen das Gesetz zu klagen.8

Vorratsdatenspeicherung beschäftigt seit fast 15 Jahren immer wieder Gerichte auf nationaler und europäischer Ebene.9 Beim BVerfG wurden gegen die Vorratsdatenspeicherung insgesamt über 35.000 Verfassungsbeschwerden erhoben. Im Jahr 2008 schränkte das BVerfG zunächst die Nutzungsmöglichkeiten der auf Vorrat gespeicherten Daten stark ein.10 Im März 2010 erklärte das BVerfG die gesetzlichen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig.11 Das Gericht führte in diesem Zusammenhang aus, dass eine Speicherung von personenbezogenen Daten über einen Zeitraum von sechs Monaten auf Vorrat immer dann verfassungswidrig sei, wenn sie aufgrund von unbestimmten und/oder nicht bestimmbaren Zwecken erfolge.12 Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung sei somit grundsätzlich möglich. Dabei müssten jedoch bestimmte, strenge Anforderungen beachtet werden. Das BVerfG nennt vier Aspekte, die angesichts des intensiven Grundrechtseingriffs beachten werden müssten: ein hoher Standard der Datensicherheit;13 hinreichende Transparenz und ein effektiver Rechtsschutz;14 klare Regelungen zum Umfang der Datenverwendung;15 der Ausnahmecharakter der vorsorglichen, anlasslosen Datenspeicherungen.16

Mit dem „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“17 von 2015 sollte in Deutschland erneut eine Vorratsdatenspeicherung eingeführt werden. Die Bundesnetzagentur hat die Verpflichtung von Telekommunikationsunternehmen jedoch ausgesetzt, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster entschied, dass Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung möglicherweise nicht mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar sein könnten.18 Als Reaktion auf diese Ankündigung haben die deutschen Telekommunikationsunternehmen vorerst davon abgesehen, die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 25. September 2019 entschieden, dem EuGH eine Frage zur Auslegung der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation19 vorzulegen.20 Die Anwendbarkeit der im Telekommunikationsgesetz (TKG) enthaltenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung wird von dieser Entscheidung abhängen.21

Neben Verkehrsdaten ist auch der rechtliche Umgang mit Bestandsdaten zur Zeit nicht letztlich geklärt. In einem Beschluss vom Mai 2020,22 hob das Bundesverfassungsgericht hervor, dass bei bestimmten Bestandsdaten, gerade bei der Übermittlung und Abfrage von Bestandsdaten durch Zuordnung einer IP-Adresse, die Gesetzgebenden höhere Hürden als bisher vorsehen müssen. Die konkrete Zuordnung der IP-Adresse müsse zusätzlich „auch dem Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von zumindest hervorgehobenem Gewicht dienen“ und sowohl die für die „Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsanbieter als auch für den Abruf dieser Daten durch die Behörden“ müsse jeweils – im Sinne eines Doppeltürenmodells – eine verhältnismäßige Rechtsgrundlage geschaffen werden. Diese Entscheidung ist auch der Grund dafür, dass die Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes sich verzögerte.

Am 6. Oktober 2020 entschied der EuGH im Fall Privacy International,23 dass EU-Recht nationalen Rechtsvorschriften (hier in Belgien, Frankreich und England) entgegensteht, die Vorratsdatenspeicherung vorsehen. In Situationen jedoch, in denen ein Mitgliedstaat einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit ausgesetzt ist, sind Speichermaßnahmen möglich, wenn diese gesetzlich vorgesehen sind, zeitlich auf das unbedingt Notwendige beschränkt sind, mit wirksamen Schutzmaßnahmen einhergehen und von einem Gericht oder einer unabhängigen Verwaltungsbrde überprüft werden können.

 



Bundesanzeiger (2017b).

2 BvR 897/18, 2 BvR 1797/18, 2 BvR 1838/18, 2 BvR 1850/18, 2 BvR 2061/18: Verfassungsbeschwerden von unter anderem Rechtsanwaltschaft, Kunstschaffenden und Medienschaffenden, darunter einige Mitglieder des Deutschen Bundestages, zu der Frage, ob die durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202, in Kraft getreten am 24. August 2017) bewirkten Änderungen der Strafprozessordnung (StPO), insbesondere die Möglichkeit der Anordnung der sog. Quellen-Telekommunikationsüberwachung und der Online-Durchsuchung (mittels des sog. „Staatstrojaners“), verfassungsgemäß sind.

Bundesverfassungsgericht (2008b).

Ebd.

Ebd.

Fiedler, M. (2020).

Meister, Andre (04.06.2020).

Ebd.

Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (2020c).

Bundesverfassungsgericht (2008a).

Bundesverfassungsgericht (2010).

Ebd., para 162.

Ebd., para 186.

Ebd.

Bundesverfassungsgericht (2010), para 231.

Ebd., para 244.

Bundesanzeiger (2015).

Beck aktuell (2017).

Richtlinie 2002/58/EG.

Bundesnetzagentur (2019).

Meister, A. (25.09.2019).

BVerfG, Beschl. v. 27.05.2020, Az. 1 BvR 1873/13 u.a.

EuGH, 6.10.2020, Urteile in den Fällen Case C-623/17, Privacy International, and in Joined Cases C-511/18, La Quadrature du Net and Others, C-512/18, French Data Network and Others, and C-520/18, Ordre des barreaux francophones et germanophone and Others.



Soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte

F.1

Bezieht die Regierungspolitik das Internet in Strategien ein, die sich mit Beschäftigung, Gesundheit und Bildung befassen, unter besonderer Berücksichtigung der Rechte des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR)?

Indikator 39: Belege für die Einbeziehung a) des Internets und b) der Achtung der IPWSK-Rechte in sektorspezifischen Strategien für Beschäftigung, Gesundheit und Bildung.

Indikator 40: Belege für eine Analyse der Auswirkungen des Internets auf Beschäftigung, Gesundheit und Bildung durch die Regierung.

Die Bundesregierung hat den UN-Sozialpakt ratifiziert. Er hat in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes.1 Das Recht auf Arbeit (Beschäftigung), Gesundheit und Bildung wird von den Artikeln 7, 12 und 13 UN-Sozialpakt sichergestellt.

Die Bundesregierung hat im November 2018 eine Umsetzungsstrategie der Bundesregierung zur Gestaltung des digitalen Wandels erarbeitet. Belege für Analysen der Auswirkungen des Internets auf Beschäftigung, Gesundheit und Bildung durch die Bundesregierung lassen sich u.a. der Digitalen Agenda 2014-2017, der Umsetzungsstrategie Digitalisierung, der KI-Strategie der Bundesregierung, dem Weißbuch zu Digitalen Plattformen, dem Weißbuch Arbeiten 4.0 und der Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung entnehmen.

Arbeitnehmende sind in die Nationale Weiterbildungsstrategie2 miteinbezogen. Es soll so der berufliche Aufstieg von breiten Bevölkerungsteilen erleichtert und die Fachkräftebasis gestärkt werden. Außerdem soll die Beschäftigungsfähigkeit verbessert werden.3 Zu der Strategie gehört außerdem: Die Förderung der Digitalwirtschaft in Entwicklungsländern, Kooperation mit der Privatwirtschaft im Technologie-Bereich und die Nutzung des digitalen Handels.

Laut einer Studie von Bitkom ist das Internet mittlerweile das wichtigste Arbeitsmittel.4 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat deshalb einen Dialogprozess zum Arbeiten 4.0 gestartet.5 Deutschland ist auch an europäischen Forschungsinitiativen und Strategien zur Arbeitswelt 4.0 beteiligt. Dazu zählt das Weißbuch der EU Kommission zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz.6

Das Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung ist ein Teil der sogenannten Qualifizierungsoffensive am Arbeitsmarkt.7 Es soll dabei helfen, Arbeitnehmende in den Strukturwandel zur Digitalisierung miteinzubeziehen und fit zu machen für die neuen Anforderungen eines digitalisierten Arbeitsmarktes.8

Aus dem Legislaturbericht „Digitale Agenda 2014-2017“ von 2018 wird die Umsetzung der Strategie mit Maßnahmen in den Bereichen „Digitale Infrastrukturen“, „Digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten“, „Innovativer Staat“, „Digitale Lebenswelten in der Gesellschaft gestalten“, „Bildung, Forschung, Wissenschaft, Kultur und Medien“, „Sicherheit, Schutz und Vertrauen für Gesellschaft und Wirtschaft“, und „Europäische und internationale Dimension der Digitalen Agenda“ dokumentiert.9

Im Bereich Gesundheit gibt es ebenfalls gezielte Strategien (Digitale Agenda 2014-2017),10 die an unterschiedlichen Anknüpfungspunkten ansetzen. Dazu zählen der Ausbau der eHealth-Initiative über stärkere Vernetzung der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen mit der Innovationstätigkeit von Gesundheitswirtschaftsunternehmen sowie die Gewährleistung der Interoperabilität und Sicherheit von IT-Systemen, der Aufbau eines digitalen Gesundheitsinformationsportals und die Modernisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) durch Bereitstellung eines digitalen Melde- und Überwachungssystems für übertragbare Krankheiten.

Hinzu kommt das Vorhaben des frühzeitigen Erkennbarmachens von Ausbruchsereignissen und die zielgruppengerechte Aufbereitung der Daten durch die Nutzbarmachung von Künstlicher Intelligenz. Die Corona App bildet das jüngste Beispiel für die Anwendung von digitaler Technologie im Gesundheitswesen ab, entwickelt und implementiert anlässlich der Corona-Pandemie.11

Im Bereich der Bildung bekennt sich die Bundesregierung zur Förderung von digitalen Kompetenzen.12 Dazu sieht die Strategie vor, dass: „alle Menschen die Chancen der Digitalisierung nutzen können. Sie sollen den digitalen Wandel selbstbestimmt mitgestalten und verantwortungsvoll mit den Risiken umgehen können.“ Die Strategie „Digitalisierung gestalten“13 betrachtet den Bereich der Bildung unter verschiedenen Blickwinkeln. Neben der schulischen Bildung umfasst die Strategie Maßnahmen im Bereich der Aus-, Fort-, und Weiterbildung und den Bereich der kompetenten Gesellschaft.14

Im August 2020 wurde berichtet, dass sieben Bundesländer planen, an Schulen Lehrende flächendeckend mit einer dienstlichen E-Mail-Adresse auszustatten und die Nutzung dieser Mail-Adressen verpflichtend anzuordnen. Die COVID-19-Krise hatte deutlich gemacht, dass die Mehrzahl der Lehrenden noch immer über keine dienstliche E-Mail-Adresse verfügen (Ausnahme: Bremen, Brandenburg, Hessen, Hamburg und Sachsen-Anhalt (freiwillig)) und damit einer der grundlegenden digitalen Kommunikationskanäle in der Institution Schule noch nicht ausreichend zur Verfügung steht. Die Nutzung privater E-Mail-Adressen birgt regelmäßig Gefahren für den Datenschutz und im Hinblick auf Cybersicherheit. Außerdem sollen an Schulen Lehrende künftig mit einem Dienstlaptop ausgestattet werden. Aktuell arbeiten 90 % der Lehrenden ohne Dienstrechner. Weiter sind Cloud-Lösungen für den digitalen Unterricht geplant. Wie die Finanzierung der Anschaffungen von Dienstlaptops für über 800.000 Lehrende bundesweit sichergestellt werden soll, ist noch unklar.15

Neben der schulischen und universitären Bildung wird auch im Bereich der Aus-, Fort-, und Weiterbildung Digitalisierung gefördert. Welche Strategien im Einzelnen verfolgt werden, ist den Indikatoren 87-90 zu entnehmen.



Deutscher Bundestag (2019b).

Bundesministerium für Bildung und Forschung (2020c).

Ebd.

Pols, A. (2012).

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2019).

Europäische Kommission (2020d).

Bundesanzeiger (2018).

Ebd.

Ebd.

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2017).

Bundesministerium für Gesundheit (2020b).

Die Bundesregierung (2020).

Ebd.

Ebd.

Rzepka, D. (14.08.2020).



F.2

Sind alle Bürgerinnen und Bürger und andere Einzelpersonen gleichermaßen in der Lage, das Internet zur Teilnahme an kulturellen Aktivitäten zu nutzen?

Indikator 41: Ausmaß und Art der Unterschiede beim Internetzugang und der Internetnutzung zwischen verschiedenen Gemeinschaften/Ethnien.

Versteht man den Begriff Gemeinschaften in Anlehnung an die Bedeutung des Begriffs „Communities“ weit und bezieht man Gemeinschaften im Sinne von Gruppen mit bestimmter Geschlechter-, Alters- und Bildungszuschreibungen in die Untersuchung mit ein, so fällt Folgendes auf: Etwa 95 % der deutschen Bevölkerung nutzen das Internet,1 etwa 80 % sind (auch) Smartphone-Nutzende.2 Große Unterschiede der Nutzung ergeben sich mit Blick auf eine berufliche Anstellung/Tätigkeit: gut 96 % der berufstätigen Deutschen nutzen das Internet, während nur 68 % der Erwerbslosen dies tun. Ähnlich verteilt sich die Nutzung auf den Bildungsabschluss: 96 % jener Deutschen mit einem höheren Bildungsabschluss sind online – im Gegensatz zu etwa 60 % der Deutschen mit einem niedrigen Bildungsabschluss.3 Unterschiede des Zugriffs auf das Internet finden sich auch mit Blick auf das Haushaltseinkommen: in Haushalten, die weniger als 1.000 Dollar monatlich verzeichnen, greifen nur 40 % auf das Internet zu, wohingegen in Haushalten, die 3.000 Dollar und mehr zur Verfügung haben, sich etwa 66 % online bewegen.4 Die Gender- wie auch die Alters-Zugriffsschere verringert sich zwar, ist aber noch immer auszumachen: etwa 91 % der Männer nutzen das Internet jeden/oder fast jeden Tag, während dies nur auf 88 % der Frauen zutrifft.5 Knapp 99 % aller Deutschen zwischen 16 und 44 Jahren greifen so gut wie täglich auf das Internet zu, wohingegen der regelmäßige Zugriff bei Nutzenden über 65 Jahren nur bei etwa 70 % liegt.6

Außerdem lassen sich noch immer leichte regionale Differenzen erkennen: die einzigen Bundesländer, in denen die Internetnutzung unter 80 % liegt, sind die östlichen Bundesländer (ehemalige Deutsche Demokratische Republik).7 Auch der Unterschied zwischen dem Zugriff auf das Internet aus urbanen Regionen (500.000 Einwohner und mehr) und ländlichen Regionen unterscheidet sich noch immer um 6 %.8

Für Deutschland finden sich keine validen Zahlen hinsichtlich der Internetnutzung mit Blick auf unterschiedliche Ethnien. Mit Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik werden solchen Zahlen weder als Abfrage noch als Selbstzuschreibung regulär (mit-)erhoben.

 

Indikator 42: Existenz einer Regierungspolitik bezüglich des Kulturerbes online

Im Koalitionsvertrag hat die aktuelle Regierung festgehalten: „Politik für Kultur und Wissenschaft, Medien und Bildung ist eine Politik für die offene Gesellschaft, für die Freiheit von Meinungen, Wissenschaft und Kunst. Angesichts der weltweiten Bedrohung kritischer Künstlerinnen, Intellektueller, Journalistinnen und Wissenschaftler, aber auch aus unserer historischen Verantwortung heraus unterstützen wir eine Initiative für die Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Presse und Meinungsfreiheit, auch im Hinblick auf Exilerfahrungen.“9

In der Umsetzungsstrategie der Bundesregierung „Digitalisierung gestalten“ (2020) wird auch eine Digitalisierungsstrategie für den Kulturbereich formuliert. Diese soll sich unter anderem der rechtlichen und der ethischen Dimension der Digitalisierung im Kunst- und Kulturbereich widmen.10

Die Bewahrung des kulturellen Erbes ist beständiges Thema deutscher Kulturpolitik.11 Im Jahr 2011 hat der Bundestag zudem auf Initiative der Regierungsparteien eine Digitalisierungsoffensive für das kulturelle Erbe vorgeschlagen und die Bundesregierung aufgefordert, den Aufbau der Deutschen Digitalen Bibliothek voranzutreiben, besonders auf Langzeitarchivierung zu achten und im Urheberrecht Regeln für den Umgang mit verwaisten Werken vorzusehen.12

Die Deutsche Digitale Bibliothek wurde bereits 2007 als Gemeinschaftsprojekt von Bund, Ländern und Kommunen gegründet.13 Seit 2014 ist sie im Regelbetrieb. Perspektivisch soll sie die digitalen Angebote von bis zu 30.000 deutschen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen vernetzen und damit das kulturelle Erbe der Nation für die gesamte Bevölkerung weitgehend kostenfrei online zugänglich machen. Bis Juni 2020 wurden mehr als 4.400 Institutionen registriert, die über die Deutsche Digitale Bibliothek Zugang zu ihren Sammlungen bieten können, darunter über 2.500 Archive, 800 Museen und 700 Bibliotheken. Etwa 500 Institutionen liefern bereits aktiv Daten.

Die Deutsche Digitale Bibliothek trägt mit ihrer Sammlung auch zum europäischen Portal Europeana bei, das 2005 von der Europäischen Kommission als Stiftung gegründet wurde.14 Metadaten über Objekte des kulturellen Erbes werden in einem einheitlichen Datenmodell erschlossen.15 Inzwischen bietet Europeana Zugang zu mehr als 50 Mio. Objekten in digitalisierter Form.

Über die Kulturstiftung der Länder werden digitale Formate auf Länderebene gefördert.16 Mit dem Verbundprojekt „museum4punkt0“ entstand 2016 eine Initiative, die von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien mit insgesamt 15 Mio. Euro gefördert wird. Ziel des Projektes, in dessen Rahmen verschiedene Kultureinrichtungen zusammenarbeiten, ist die Entwicklung neuer digitaler Instrumente für die Vermittlung von Museumsinhalten.17 Als weitere Maßnahmen sind die Projekte „Kultur Digital“,18 „Digitale Wege ins Museum“,19 „Total Digital!“20 und „ZDF Kulturraum Digital“21 zu nennen. Die jeweilige Förderung dieser Projekte liegt zwischen 21.000 und 5 Mio. Euro. Sie alle zielen darauf ab, dass Kultureinrichtungen digitale Möglichkeiten nutzen, erarbeiten und gestalten, um neue kulturelle Erlebnisräume zu schaffen. So sollen ein erleichterter, integrativer Zugang zu Kunst und Kultur, Kreativprozesse und neue Austauschmöglichkeiten geschaffen werden.22

 

Indikator 43: Verfassungsmäßige oder gesetzliche Garantie der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks

Die Kunstfreiheit ist in Artikel 5 Abs. 3 GG garantiert und wurde durch das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung ausdifferenziert und konturiert.23 Dem Begriff der Kunst kommt bei der Bestimmung des Schutzbereichs eine zentrale Bedeutung zu. Eine allgemeingültige Definition dürfte es nicht geben, weshalb auch vom „offenen Kunstbegriff“ gesprochen wird.24 Er ist „das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung darin […], dass es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiter reichende Bedeutungen zu entnehmen, sodass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt.“25

Die Kunstfreiheit ist hauptsächlich als Abwehrrecht zu verstehen. Darüber hinaus enthält Artikel 5 Abs. 3 S. 1 GG aber auch „eine objektive, das Verhältnis des Bereichs Kunst zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm.“26 Die Kunstfreiheit muss demnach auch „im Verhältnis von Privaten zueinander zu berücksichtigt werden, insbesondere wenn unter Berufung auf private Rechte künstlerische Werke durch staatliche Gerichte verboten werden sollen“.27 Ob ein verbindlicher Verfassungsauftrag zur Förderung der Kunst oder gar Teilhaberechte des Einzelnen existieren, ist umstritten. Jedenfalls sieht das BVerfG es als Aufgabe des Staates an, ein freiheitliches Kunstleben zu gestalten und zu erhalten.28 Die Ausgestaltung dieses Schutzes ist der demokratisch legitimierten Legislative überlassen. Der Schutzumfang der Kunstfreiheit ist nicht auf die künstlerische Tätigkeit an sich begrenzt.29 Das BVerfG hat die Kunstfreiheit in einen sog. „Werkbereich“ und „Wirkbereich“ unterteilt, die beide den verfassungsrechtlichen Schutz von Artikel 5 Abs. 3 S. 1 GG genießen.30

Künstlerische Werke (ab einer gewissen Schaffenshöhe) werden insbesondere vom Urhebergesetz (UrhG),31 aber auch vom Kunsturhebergesetz (KUG)32 geschützt. Die Kunstfreiheit befindet sich häufig im Spannungsfeld zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Ehrschutz. Nachdem die Europäische Kommission 2016 Regelungsvorschläge für eine Reform des Urheberrechts vorgelegt hatte, bat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz um Stellungnahme von Betroffenen und Interessierten, die als Grundlage für die Ratsverhandlungen in Brüssel dienen sollten. Alle Stellungnahmen sind auf der Website des Ministeriums abrufbar.33 Spezifisch sind als Interessengruppen hier das Netzwerk Autorenrechte34 und die Initiative Urheberrecht35 zu nennen, die sich aktiv für die Belange von Kunstschaffenden einsetzen.

Die 2020 abgeschlossene Neufassung des Medienstaatsvertrags diente auch zur Umsetzung der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste und der Anpassung an europäische Vorgaben zum Urheberrecht.36 In diesem Zusammenhang spielt die europarechtliche Vorprägung des deutschen Rechts eine wichtige Rolle, wenn auch hier wieder klar offensichtlich wird, dass die europäische Medienordnung von Inkohärenzen geprägt ist und sich vor allem die Überfrachtung des europäischen Rechtssetzers mit oft widersprüchlichen Regulierungszielen bemerkbar macht. Als weitere Maßnahme haben die Kultusministerien und Kultursenate der Länder 2019 eine gemeinsame Erklärung zur kulturellen und künstlerischen Freiheit formuliert. Ziel dabei ist die ausdrückliche Bekräftigung des Rechts auf Freiheit und Vielfalt in Kunst und Kultur.37

Die 2018 eingeführte Senkung des Mehrwertsteuersatzes für E-Publikationen wurde von der Bundesregierung begrüßt. Statt 19 % liegt der Mehrwertsteuersatz seitdem bei 7 %, was eine Gleichbehandlung von Print und E-Medien bedeutet.[38]

Zu diesem Kapitel sind Empfehlungen für verschiedene Stakeholder in Kapitel 8 zusammengefasst.



Eurostat (2019b).

Newzoo (2020).

Initiative D21 (2020), S. 25.

Ebd., S. 41.

Statistisches Bundesamt (2020a).

Statistisches Bundesamt (2020d).

Initiative D21 (2020), S. 16.

Die Bundesregierung (2018c), S. 172.

Digital made in de (2020).

Deutscher Bundestag (2015b).

Deutscher Bundestag (2012).

Deutsche Digitale Bibliothek (2020).

Europeana (2020).

Dröge, E. et al. (2015).

Kulturstiftung (2020).

Museum4punkt0 (2020).

Kulturstiftung des Bundes (2019).

Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (2018).

Bundesministerium für Bildung und Forschung (2018).

ZDF (2019).

Näheres kann dem Dritten Staatenbericht zur Umsetzung der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von 2005 in und durch Deutschland im Berichtszeitraum 2016-2019 entnommen werden. (Die Bundesregierung (2020f)).

z.B. BVerfGE 67, 213 (225) = NJW 1985, 261 (262) – anachronistischer Zug; BVerfGE 75, 369 (377) = NStZ 1988, 21 (22) – Strauß-Karikatur.

BeckOK GG/Kempen, 43. Ed. 15.5.2020, GG Art. 5 Rn. 156.

BVerfGE 67, 213 (226 f.) = NJW 1985, 261 (262 f.) – anachronistischer Zug; BVerfGE 81, 278 (291 ff.) = NJW 1990, 1982 – Bundesflagge.

BVerfGE 30, 173 (188) = NJW 1971, 1645 – Mephisto; BVerfGE 119, 1 (21) = NJW 2008, 39 (40) – Esra.

BVerfGE 119, 1 (21) = NJW 2008, 39 (40) – Esra).

BVerfGE 36, 321 (331) = NJW 1974, 689 – Schallplatten-Umsatzsteuer; BVerfGE 81, 108 (116) = NJW 1990, 2053 – Kulturstaatsgebot.

BeckOK GG/Kempen, 43. Ed. 15.5.2020, GG Art. 5 Rn. 167-169.

BVerfGE 30, 173 (189) = NJW 1971, 1645 – Mephisto; BVerfGE 67, 213 (224) = NJW 1985, 261 (262) – anachronistischer Zug; BVerfGE 77, 240 (251) = NJW 1988, 325 – Herrnburger Bericht; BVerfGE 81, 278 (292) = NJW 1990, 1982 (1983) – Bundesflagge; NJW 2006, 596 (597) – Künstlervertrag; BVerfGE 119, 1 (21 f.) = NJW 2008, 39 (40) – Esra; BVerfGE 142, 74 (96) = NJW 2016, 2247 (2248)).

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (1965).

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (1907).

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (2020b).

Netzwerk Autorenrechte (2020).

Initiative Urheberrecht (2020).

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2020c).

Kultusministerkonferenz (2019).

Die Bundesregierung (2019a).