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Rechte

Politischer, rechtlicher und regulatorischer Rahmen

A.1

Gibt es einen rechtlichen Rahmen für die Geltung und Durchsetzung der Menschenrechte, der mit internationalen und regionalen Vereinbarungen, Gesetzen und Standards sowie mit der Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist?

Indikator 22: Bestehen eines verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Rahmens, einschließlich Kontrollverfahren, der mit internationalen und regionalen Vereinbarungen, Gesetzen und Standards im Bereich der Menschenrechte in Einklang steht, und Nachweis, dass dieser von der Regierung und anderen zuständigen Behörden respektiert und durchgesetzt wird

Die Artikel 1-19 des Grundgesetzes (GG) von 1949 sehen einen umfassenden Grundrechtsschutz vor.1 Die Verletzung dieser Grundrechte (spezifisches Verfassungsrecht) kann in Deutschland (nach Erschöpfung des Rechtswegs) mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG geltend gemacht werden.2

Deutschland hat die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und das Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (ZP I EMRK) unterzeichnet und ratifiziert.3 Das Zusatzprotokoll des ZP I EMRK sieht ein Individualbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vor. Außerdem ist Deutschland als EU-Mitgliedstaat an die EU-Grundrechtecharta (GR-Charta) gebunden.4 Nach den Voraussetzungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) können Individuen vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) u.a. wegen der Verletzung der EU-Grundrechtecharta klagen. Eine Verletzung von „EU-Grundrechten“ kann seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in „Recht auf Vergessenwerden II“ im Wege der Verfassungsbeschwerde auch vor dem BVerfG überprüft werden.5

Deutschland hat die relevanten völkerrechtlichen Verträge und die meisten Zusatzprotokolle unterzeichnet und ratifiziert.6 Dazu zählen:

  • der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) und das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe,
  • der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt),
  • das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (Anti-Rassismus-Konvention),
  • das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Frauenrechtskonvention) mit dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,
  • das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Anti-Folter-Konvention) und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe,
  • das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) und die Fakultativprotokolle; das Fakultativprotokoll zur Konvention über die Rechte des Kindes bei der Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (Kindersoldatenvertrag),
  • das Fakultativprotokoll zur Konvention über die Rechte des Kindes in einem Kommunikationsverfahren7 das Fakultativprotokoll über den Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornografie,
  • das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention) und das Fakultativprotokoll zur Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
  • das Übereinkommen gegen gewaltsames Verschwindenlassen,
  • das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention).

Art. 1 Abs. 2 des Grundgesetzes sieht ein allgemeines Bekenntnis zu den internationalen Menschenrechten vor. Art. 25 GG legt fest, dass das Völkerrecht Vorrang vor allgemeinen Bundesgesetzen hat. Grundsätzlich wird das Grundgesetz „völkerrechtsfreundlich“ ausgelegt. Deutschland kommt auch seiner Pflicht zur turnusmäßigen Abgabe von Staatenberichten nach den Menschenrechtskonventionen nach.8 Positiv ist auch hervorzuheben, dass die Staatsanwaltschaften in Deutschland Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip führen.9

Trotz des im Allgemeinen hohen menschenrechtlichen Schutzniveaus in Deutschland gibt es in einigen Bereichen Defizite. Bei der Umsetzung des UN-Sozialpakts sieht der Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen erhebliche Defizite, so z.B. beim Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Insbesondere kritisiert er die Freiwilligkeit der Maßnahmen, und die Tatsache, dass es keine effektiven Überwachungsmechanismen der Sorgfaltspflichten von Unternehmen hinsichtlich der Beachtung von Menschenrechten gibt.10 Der Ausschuss empfiehlt Deutschland die Schaffung eines rechtlichen Rahmens, der sicherstellt, dass alle in Deutschland ansässigen Unternehmen und alle Unternehmen in Gebieten, über die Deutschland Jurisdiktionsgewalt ausübt, sowohl die mit ihren Geschäftstätigkeiten in Deutschland einhergehenden Menschenrechtsverletzungen ermitteln, ihnen (auch im Ausland) vorbeugen und sie bekämpfen, als auch, dass Unternehmen für diese Verletzungen haftbar gemacht werden können.

In der Rechtsdurchsetzung gegenüber Unternehmen werden folgende Defizite kritisiert:

  • die praktischen Hürden, die den Zugang zur Justiz von Nicht-Staatsangehörigen deren Rechte mutmaßlich durch deutsche Unternehmen im Ausland verletzt wurden, einschränken, obwohl das deutsche Recht ihnen Zugang zur Justiz und zu Prozesskostenhilfe einräumt
  • das Fehlen kollektiver Rechtsdurchsetzungsmechanismen in der Strafprozessordnung, abgesehen von Verbraucherschutzklagen
  • das Fehlen einer strafrechtlichen Haftung von Konzernen im deutschen Recht
  • das Fehlen von Offenlegungsverfahren, da dies für die antragstellenden Personen den Nachweis, durch die Handlungen eines Unternehmens verletzt worden zu sein, extrem erschwert

Deutschland hat bisher außerdem das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt noch nicht ratifiziert.11 Defizite in der Umsetzung des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt gibt es insbesondere in den Bereichen des Streikverbots für Beamte und bei der Pflege älterer Menschen und Kinderarmut.12 Außerdem wird ein Lieferkettengesetz für Deutschland gefordert.13 Erste Eckpunkte für ein Gesetz für faire Lieferketten wurden vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet.14



Dürig; Maunz (2013).

Bethge; Maunz; Schmidt-Bleibtreu; Klein (2020).

Deutsches Institut für Menschenrechte (2019), S. 5.

Europäische Union (2000).

Bundesverfassungsgericht (2019).

United Nations (kein Datum).

Deutschland hat als erster europäischer Staat auch das Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention, das ein Individualbeschwerdeverfahren ermöglicht, ratifiziert.

Auswärtiges Amt (2020).

Kroker (2016).

United Nations (2018b).

Ebenda.

Ebenda.

Initiative Lieferkettengesetz (2020).

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2020).



A.2

Gibt es einen rechtlichen Rahmen, der anerkennt, dass die gleichen Rechte, die Menschen offline haben, auch online geschützt werden müssen?

Indikator 23: Beweise dafür, dass das Prinzip der Online-/Offline-Äquivalenz in Recht und Praxis akzeptiert und umgesetzt wird

Es gibt in Deutschland keine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die eine Online/Offline-Äquivalenz von Grund- und Menschenrechten festlegt. Die gleichwertige Geltung dieser Rechte wird vielmehr vorausgesetzt. Das zeigt sich sowohl im Handeln der Verwaltung, der Legislative1 als auch in der Rechtsprechung.2 Als Vertragsstaat der EMRK, Mitgliedstaat des Menschenrechtsrats und Mitgliedstaat im Europarat bekennt sich Deutschland zum Grundsatz der Online/Offline-Äquivalenz.

2018 unterstrich Deutschland sein Engagement für den Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter und übernahm den Vorsitz in der Freedom Online Coalition (FOC), die sich für die Förderung von Menschenrechten im digitalen Zeitalter einsetzt.3 Der Schutz der Menschenrechte ist auch ein wichtiges Handlungsfeld der Cyber-Außenpolitik. In den Jahren 2013 und 2014 verabschiedete die UN-Generalversammlung Resolutionen zum Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter. Sie gingen auf eine deutsch-brasilianische Initiative zurück.4 Am 5. März 2020 gab Deutschland im Namen der Mitglieder des FOC während der Generaldebatte der 43. Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf eine Erklärung zur digitalen Integration ab.5 Die Erklärung bekräftigt das Engagement des FOC für die Förderung der digitalen Integration und fordert die Regierungen auf, langfristige Maßnahmen zur Bekämpfung des Zugangs und der Nutzung des Internets zu ergreifen, um die vielfältigen digitalen Gräben zu überwinden und auch die zugrunde liegenden Ursachen anzugehen.

Obwohl Grund- und Menschenrechte in analogen und digitalen Räumen grundsätzlich den gleichen Schutz genießen, führt die Tatsache, dass diese Räume unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen existieren zu faktischen Schwierigkeiten, z.B. beim Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.

Voraussetzung für die Ausübung der Menschenrechte im Internet sind der Zugang zum Internet, der durch staatliche Infrastrukturmaßnahmen sicherzustellen ist und der Zugang zu Internet-Inhalten vor überschießender Zensur zu schützen ist. Denn gerade das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 GG als ein Rechte ermöglichendes Grundrecht steht im Internet verstärkt unter Druck.6

Die Voraussetzungen, in denen Meinungsäußerungen und Meinungsaustausch in den digitalen Kommunikationsräumen des Internets stattfinden, unterscheiden sich stark von den Voraussetzungen, die im analogen Raum gelten.

Deutschland engagiert sich aktiv im Europarat für einen gleichwertigen menschenrechtlichen Schutzstandard online.7 Ziel ist es das Internet auf der Grundlage von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu gestalten. Im Europarat will Deutschland sicherstellen, dass das Internet ein sicheres und offenes Umfeld bietet, in dem Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit ausgeübt werden können und das einen Raum für Vielfalt, Kultur, Bildung und Wissen bildet.

Online-Medienschaffende haben weitgehend dieselben Rechte und denselben Schutz wie Medienschaffende in den Print- oder Rundfunkmedien. Der offizielle Presseausweis steht jedoch nur noch professionellen Medienschaffenden zur Verfügung, d.h. solchen, deren journalistische Tätigkeit mindestens 51 % ihres Einkommens ausmachen muss.8 Dieser Ausweis ist mit Privilegien verbunden, z.B. mit der Gewährung privilegierter Zugangsrechte und auch die deutsche Strafprozessordnung räumt das Zeugnisverweigerungsrecht nur Personen ein, die (haupt-) beruflich an der Herstellung oder Verbreitung von journalistischem Material mitgewirkt haben. Diese Grenzen sind im digitalen Journalismus nicht immer trennscharf zu ziehen.9



z.B. die Anwendbarkeit von § 130 StGB.

Bundesgerichtshof (2013).

Auswärtiges Amt (2018).

United Nations (2018c); Resolution adopted by the General Assembly on 18 December 2013.

Freedom Online Coalition (2020).

Kettemann; Benedek (2020).

Council of Europe (2020).

Presseausweis (2016) mit Verweis auf: Rath, C. (01.12.2016).

§ 53 Abs. 1 S. 5 StPO.