Recht auf Zugang zu Informationen
C.2
Blockiert oder filtert die Regierung den Zugang zum Internet insgesamt oder zu bestimmten Online-Diensten, Anwendungen oder Websites, und aus welchen Gründen und mit welchem Grad an Transparenz wird dies ausgeübt?
Indikator 26: Rechtlicher Rahmen für die Sperrung oder Filterung des Internetzugangs, einschließlich Transparenz- und Aufsichtsregelungen.
Indikator 27: Beweise in Regierungs- und Gerichtsentscheidungen sowie aus anderen glaubwürdigen und maßgeblichen Quellen bezüglich der Sperrung oder Filterung des Zugangs.
Indikator 28: Vorkommen, Art und Grundlage für Abschaltungen oder andere Einschränkungen der Internet-Konnektivität.
Indikator 29: Anzahl und Trend der Zugangsbeschränkungen zu Inhalten, der Zurücknahme von Domänennamen und anderer Interventionen in den letzten drei Jahren.
Es gibt grundsätzlich keine spezifische rechtliche Ermächtigung für die Sperrung oder die Filterung des Internetzugangs durch die Regierung.1 „Internet Shutdowns“ haben in Deutschland soweit ersichtlich noch nicht stattgefunden, ebenso wenig ereigneten sich Fälle staatlicher zielgerichteter Drosselung der Internetzugangsgeschwindigkeit, über die in anderen Staaten berichtet wird.2 Ein „Abschalten“ des Internets kann technisch auf unterschiedliche Weise erfolgen. Zum einen gibt es die Möglichkeit, IP-Adressen zu blockieren oder den gezielt umzuleiten („traffic shaping“), sodass Dienste nicht mehr verfügbar sind.3 Eine Drosselung kann technisch durch unterschiedliche Methoden erfolgen, beispielsweise durch „Bandbreiten- und Verkehrsmanagement“,4 bei denen eine bestimmte Kommunikation priorisiert wird, „Inline Deep-Packet Inspection“,5 das zu Latenzzeiten führt, „Portpartitionierung, die sich auf den gesamten Datenverkehr auswirkt, oder durch Routing-Pfad Veränderungen“.6 Zu Ausfällen der Internetkonnektivität durch Stromausfälle oder Überlastungen kommt es in der Regel wegen der dezentralen Struktur des Internets und der damit verbundenen Möglichkeit der Umleitung selten und wenn überhaupt nur für kurze Zeit, wie geschehen z.B. 2018 bei größten deutschen Internetknotenpunkt, DE-CIX, in Frankfurt am Main.7
Die Bundesregierung hat mit der Unterzeichnung des „Contract for the Web“8 im Jahre 2019 ihre im Koalitionsvertrag von 2018 vereinbarte Absicht bestätigt, bis 2025 sicherzustellen, dass die Bevölkerung verlässlichen und schnellen Internetzugang haben soll.9
Festzuhalten bleibt auch, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht10 das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme mitumfasst. Die Informationstechnik ist von „zentraler Bedeutung“ für die „Lebensführung“ vieler Menschen.11 Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum schließt auch die Möglichkeit zum Zugang zum Internet ein, da es die „Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ ermöglicht.12 „Damit hat sich das Internet zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht.“13 Jede Sperrung oder Filterung muss daher rechtlich begründet sein und einer grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.
Rechtliche Verpflichtungen, Inhalte zu sperren, zu filtern, oder zu löschen, ergeben sich für Internet-Diensteanbieter aus dem Telemediengesetz (TMG)14 (mit zivilrechtlicher Haftung für Internet Service Provider), § 97 Urhebergesetz (UrhG),15 den §§ 14 ff. des Markengesetzes (MarkenG)16 und § 8 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).17 In Bezug auf Minderjährige sind der am 7. November 2020 in Kraft getretene neue Medienstaatsvertrag (MStV)18 und der Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV)19 weiterhin relevant, wobei ersterer den alten Rundfunkstaatsvertrag ersetzt hat.
Sowohl durch die Verabschiedung des NetzDG, als auch durch Änderungen des TMG, hat sich die Rechtslage für Maßnahmen zur Sperrung, Filterung und Entfernung illegaler Internetinhalte weiterentwickelt. In § 3 Abs. 2 S. 1 verpflichtet das NetzDG soziale Netzwerke zur Einführung von Verfahren, die sicherstellen, dass sie "die Beschwerde unverzüglich zur Kenntnis nehmen und prüfen, ob die in der Beschwerde angezeigten Inhalte rechtswidrig sind und entfernt werden müssen oder ob der Zugang zu den Inhalten zu sperren ist". Diese Verpflichtung ist vor dem Hintergrund des § 10 TMG zu lesen, der die Anbieter von Telemediendiensten verpflichtet, den Zugang unverzüglich zu sperren oder rechtswidrige Inhalte nach Kenntnisnahme zu entfernen. Noch vor dem NetzDG konnte jeder, der in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt wurde, aufgrund eines zivilrechtlichen Anspruchs von einem Anbieter von Telemediendiensten die Offenlegung des Namens der potenziellen Tatbegehenden verlangen. In der neuen Fassung ist die Notwendigkeit eines Gerichtsbeschlusses über die Zulässigkeit einer solchen Offenlegung erwirkt worden.20
Es kommt vor, dass in Deutschland bestimmte Anwendungen, Websites oder Inhalte gesperrt werden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um strafrechtlich relevante Inhalte. Im Jahr 2009 wollte Deutschland mit dem Zugangserschwerungsgesetz die Internetanbieter dazu verpflichten, kinderpornografische Seiten zu sperren, die das Bundeskriminalamt vorher auf einen entsprechenden Index gesetzt hatte.21 Unter anderem, weil die Unrechtmäßigkeit der Internetseiten nicht von einem Richter überprüft werden musste, erntete das Gesetz erhebliche Kritik und wurde 2011 vom Bundestag inhaltlich neugestaltet.22 Die Gerichte stellen grundsätzlich sehr hohe Anforderungen an vollständige Sperrungen von Anwendungen oder Seiten.23
Eine Ausnahme bildet der Fall linksunten.indymedia.24 Im Fall linksunten.indymedia25 hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) als Gefahrenabwehrbehörde auf Grundlage des Vereinsgesetzes ein Vereinsverbot und damit faktisch ein Medienverbot gegen die Plattform ausgesprochen und wollte damit eine „Abschaltung“ erreichen.26 Dagegen klagten die vom BMI als Verein identifizierten und adressierten Personen vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Dieses wies die Klage jedoch als zulässig, aber unbegründet ab und setzte sich mit der Kernfrage der Rechtsmäßigkeit des Vereinsverbots nicht auseinander.27 Im Mai 2020 erhoben die Betroffenen beim BVerfG Verfassungsbeschwerde.28 Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Jedenfalls dürfte das BVerfG die Rechtsprechung des EGMR im Fall Ürper v. Türkei29 berücksichtigen, der in diesem Fall klarstellte, dass ein pauschales, vollständiges und unbefristetes Verbot einer Zeitung Artikel 10 EMRK verletze.
Die Sperrung von Internet-Anwendungen, Websites oder Inhalten kann durch sogenanntes DNS-Hijacking erfolgen, was IT-Fachleute jedoch als „völlig wirkungslos“ bezeichnen, da diese einfach umgangen werden könnten.30 Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, einen Proxy-Server zu benutzen, mit dem Anfragen auf die unzulässigen Angebote gefiltert oder auf eine andere Seite umgeleitet werden, oder die IP-Adresse am Router gesperrt wird. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat die unterschiedlichen Möglichkeiten 2016 in einem Sachstand analysiert.31
Zur Sperrung und Löschung illegaler Inhalte können Dienstleistungsanbieter durch Gerichtsurteile verpflichtet werden. Die Gerichtsverfahren finden in der Regel öffentlich statt. Für das Löschen von Inhalten sind nach den Vorgaben E-Commerce-RL, dem Telemediengesetz (TMG) und dem NetzDG, Private unter gewissen Umständen verantwortlich. Der § 2 NetzDG sieht Berichtspflichten vor. Nach § 3 Abs. 6 NetzDG haben Social Media-Plattformen die Möglichkeit, Institutionen der regulierten Selbstregulierung zu etablieren. Die Anforderungen für die Einrichtung einer geregelten Selbstregulierung sind insbesondere: Kompetenz und Unabhängigkeit der Selbstregulierungsstelle, Schnelligkeit und Transparenz des Prozesses, sowie dass die Selbstregulierungsstelle von mehreren Anbietern sozialer Netzwerke oder Institutionen getragen wird, die eine sachgerechte Ausstattung der Selbstregulierungsstelle sicherstellen. Außerdem muss sie für den Beitritt weiterer Anbieter, insbesondere sozialer Netzwerke, offenstehen.
Plattformen moderieren Inhalte vorrangig nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen/Gemeinschaftsstandards. Dabei kam es in der Vergangenheit auch zu einer Löschung zulässiger Meinungsäußerungen, die in Deutschland in gerichtlichen Verfahren angegriffen werden können (OLG (Oberlandesgericht) München, Urteil vom 07.01.2020, 18. Zivilsenat, 18 U 1491/19; OLG Oldenburg, Urteil vom 1.7.2019 – 13 W 16/19)32 Das BVerfG hat im Mai 2019 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren die Löschung eines Beitrags und Sperrung des Facebook Accounts der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ für unzulässig erklärt.33
In Bezug auf Art. 5 Abs. 1 GG stellten deutsche Gerichte fest, dass Facebook ein öffentlicher Marktplatz für den Informations- und Meinungsaustausch ist34 und daher – in Anwendung der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte – sicherstellen muss, dass nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zulässige Meinungsäußerungen nicht gelöscht werden.35 Deutsche Gerichte argumentierten, dass Facebook ein „Quasi-Monopol“36 entwickelt habe und dass es sich um ein privates Unternehmen handle, das einen öffentlichen Kommunikationsraum anbiete und die Rechte der Nutzenden aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG mittelbar schützen müsse.37 Daher wäre es Plattformen im Allgemeinen38 nicht gestattet, „zulässige Meinungsäußerungen“ zu entfernen.39 Ebenso dürften die Gemeinschaftsstandards solche Inhalte nicht ausschließen.40 Die deutschen Gerichte gehen in diesem Zusammenhang regelmäßig von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus und legen die Gemeinschaftsstandards der Plattformen dementsprechend aus.
Mit den Zielen der Sicherung kommunikativer Chancengleichheit offline und online und der Umsetzung der 2018 novellierten europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) wurde 2020 nach langen Verhandlungen der Medienstaatsvertrag (MStV)41 ratifiziert. Der neue MStV enthält verstärkte Transparenzvorgaben und Diskriminierungsverbote für meinungsrelevante Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Medienintermediäre wie zum Beispiel Smart-Speaker, Suchmaschinen, Smart-TVs und Kabelnetzbetreiber. Auch der Begriff des „Rundfunk“ wurde zeitgemäß angepasst. Der Annahme des MStV sowie der Umsetzung der beiden urheberrechtlichen Richtlinien (EU) 2019/790 (DSM-RL) und (EU) 2019/789 (Online-SatCab-RL) vom 17. April 2019 gingen öffentliche Stellungnahmeprozesse für beteiligte Akteure und Institutionen voraus.
Freedom House (2019).
Mühlenmeier, L. (06.03.2020).
Voelsen, Daniel (2019).
Mühlenmeier, L. (2020).
Ebd.
Ebd.
Bünte, O. (10.04.2018).
Contract for the Web (2019).
Ebd., Principle 1: “1. By setting and tracking ambitious policy goals 1GB of mobile data costs no more than 2 % of average monthly income by 2025. 2. Access to broadband internet is available for at least 90 % of citizens by 2030, and the gap towards that target is halved by 2025. 3. At least 70 % of youth over 10 years old and adults have In-formation and Communication Technology (ICT) skills by 2025.”
Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG.
BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2008, Rn. 171, 232.
BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010, 1 BvL 1/09, Rn 135.
BGH, Urteil des III. Zivilsenats vom 24.1.2013 - III ZR 98/12, Rn. 17.
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (2007).
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (1965).
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (1994).
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz (2004).
Landesregierung Rheinland-Pfalz (2020).
Kommission für Jugendmedienschutz (2020).
Kettemann, M. C. (2019), S. 9.
Verband der deutschen Internetwirtschaft eco e.V. (2009).
Schäfers, J. (25.05.2011).
Tagesspiegel (26.11.2015).
Laufer, Daniel (29.01.2020); Thurn, J. P.; Werdermann, D. (31.1.2020).
Ebd.
Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2020).
Bundesverwaltungsgericht (2020).
Reuter, M. (09.06.2020).
European Court of Human Rights (2009), Ürper et al. v. Türkei (2009), para. 44 und 45: „The practice of banning the future publication of entire periodicals on the basis of section 6(5) of Law no. 3713 went beyond any notion of “necessary” restraint in a democratic society and, instead, amounted to censorship (…) There has accordingly been a violation of Article 10 of the Convention.“ https://hudoc.echr.coe.int/eng#{"itemid":["001-95201"]}.
Biermann, K. (13.02.2009): „Zitat Hannes Federrath , IT-Sicherheitsforscher an der Universität Regensburg und vom Unterausschuss Neue Medien des Bundestags als Experte zu dem Thema geladen: Solche sogenannten DNS-Sperren seien "völlig wirkungslos" und erschwerten den Zugang zu Kinderpornografie in keiner Form. Viel zu leicht ließen sie sich auch von Laien umgehen. "Diese Technik schadet nichts, sie nützt aber auch nichts."
Deutscher Bundestag (2016a).
Oberlandesgericht Niedersachsen (2019).
Bundesverfassungsgericht (2019b).
OLG Frankfurt/Main - 2017, 16 U 255/16, para. 28.
OLG München (2018) - 18 W 858/18.
OLG Dresden (2018) - 4 W 577/18.
OLG Stuttgart (2018.- 4 W 63/18, para. 73.
OLG München (2018) - 18 W 1955/18 para. 19 f.- Mögliche Ausnahme für Subforen.
Beispielsweise: OLG München (2018) - 18 W 858/18 para. 30; 18 W 1873/18 para. 21; 18 W 1383/18 para. 20f.; 18 W 1294/18 para. 28; LG Karlsruhe, 2018 - 11 O 54/18 para. 12; LG Frankfurt/Main, 2018 - 2-03 O 182/18 para. 16; LG Bamberg, 2018 - 2 O 248/18 para. 86, KG Berlin, 2019 - 10 W 172/18 para. 17.
Mit detaillierter rechtsvergleichender Analyse Deutschland/USA sh.: Kettemann, M. C.; Tiedeke, A. S. (2020).
Niedersächsische Landesmedienanstalt (2020).
C.4
Werden Einzelpersonen, Journalistinnen und Journalisten oder andere Online-/Medienakteure willkürlich festgenommen, strafrechtlich verfolgt oder eingeschüchtert, weil sie online auf Informationen zugreifen?
Indikator 30: Umfang und Art der gesetzlichen Bestimmungen und der Praxis.
Im Journalismus tätige Personen sind in Deutschland grundsätzlich umfassend vor staatlichen Eingriffen geschützt. Sie genießen als Teil der Presse den Schutz der Pressefreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 3 GG. Diese ist auch auf das Internet anzuwenden.1
Grundsätzlich ist (investigativer) Journalismus in Deutschland uneingeschränkt möglich. Allerdings steht § 201 StGB in der Kritik, die Möglichkeiten für (legalen) investigativen Journalismus einzuschränken.2 Anders als bei anderen Berufsgeheimnisträgergruppen ist kein genereller Schutz im digitalen Raum vorgesehen. Im Jahr 2015 sahen sich beispielsweise zwei Journalisten von Netzpolitik.org kurzzeitig mit einem Strafverfahren wegen angeblichen Hochverrats konfrontiert. Im Nachgang kündigte der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas einen Gesetzentwurf an,3 der Medienschaffende ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Hochverratsbestimmung im Strafgesetzbuch ausnehmen soll. Zu einer Reform ist es bislang allerdings nicht gekommen.
Es sind kaum Fälle von direkter physischer Einschüchterung oder Gewalt gegen Medienschaffende von staatlicher Seite bekannt. Zu nennen wäre eine Razzia gegen den Verein „Zwiebelfreunde“ – eine Vereinigung aktiver Personen, die Tools zur Förderung der Online-Anonymität propagiert –, die ein Gericht später für illegal erklärte.4 Positive staatliche Pflichten zum Schutz von Medienschaffenden gehen darüber hinaus und umfassen auch die Schulungen der Polizei zum rechtewahrenden Umgang mit diesen.
Ein jüngeres Beispiel für ein Vorgehen eines Bundesministeriums gegen die Presse stammt aus dem Juni 2020. Der Bundesinnenminister kündigte öffentlich an, Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen Die Tageszeitung (taz) und die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah an. Als Kolumne veröffentlichte sie einen Beitrag mit dem Titel: „Abschaffung der Polizei – All cops are berufsunfähig“. Zuvor hatten bereits die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet5 und beim Deutschen Presserat Beschwerde eingereicht.6
Staaten haben aber auch die Pflicht, Medienschaffende vor Einschüchterungen durch Dritte zu schützen. Dies trifft besonders auf jene zu, die über die rechte Szene berichten.7 Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), berichtet: „Bedrohungen sind keine Einzelfälle. Es sind viele.“8 Das gelte besonders bei Themen wie Migration und Integration. Beleidigungen und Verleumdungen gehören seit Jahren zum Alltag. Der WDR-Journalist Restle sagt, er erhalte fast nach jeder „Monitor“-Sendung oder jedem „Tagesthemen“-Kommentar Drohungen. „Das nehme ich alles nur sehr begrenzt ernst.“ Dass dies „quasi zum Normalfall“ geworden sei, sei allerdings bedenklich.9
Indikator 31: Anzahl willkürlicher Festnahmen und Strafverfolgungen wegen des Zugangs zu Inhalten, die unter internationalen Vereinbarungen über die Umstände und Kriterien für zulässige Beschränkungen nicht unrechtmäßig sind.
Generell können Einzelpersonen, Medienschaffende oder andere Online-/Medienschaffende in Deutschland online Informationen einsehen und ihrer journalistischen Arbeit nachgehen, ohne willkürliche Festnahmen oder eine Strafverfolgung fürchten zu müssen. Es gibt keine Zahlen zu willkürlichen Festnahmen oder Strafverfolgungen. Es gibt allerdings Einzelfälle, in denen Gerichte festgestellt haben, dass Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Medienschaffende unrechtmäßig waren. Dazu zählt auch das Beispiel der „Zwiebelfreunde“.10 Nach Kritik von Menschen, die sich für Pressefreiheit und Internetrechte engagieren, entschied das Landgericht München, dass die Durchsuchungen und Beschlagnahmen illegal seien und ordnete die Rückgabe des gesamten beschlagnahmten Materials an.11
Das seit 2016 umstrittene BND-Gesetz (Gesetz über den Bundesnachrichtendienst), das es dem deutschen Auslandsgeheimdienst ermöglichte, legal die gesamte Kommunikation von Medienschaffenden und ganzen Redaktionen oder Verlagshäusern im außereuropäischen Ausland zu überwachen,12 wurde im Mai 2020 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.13 Der Gesetzgeber hat jetzt bis 2021 Zeit, nachzubessern. Insbesondere soll die vertrauliche Kommunikation bestimmter Berufsgruppen (Rechtsanwaltschaft und Medienschaffende) in Zukunft besonders geschützt werden. Mittlerweile wird ein zentrales Kontrollgremium gefordert.14
Es gibt jedoch Erkenntnisse darüber, dass Medienschaffende insbesondere von Personen aus dem rechtsradikalen Spektrum bedroht werden.15 Das European Center for Press and Media Freedom (ECPMF) berichtet in einer Studie: „Von Anfang 2015 bis März 2020 registrierte das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit 119 gewaltsame Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland. Trotz schwankender Fallzahlen blieb der Ursprung der Attacken über die Jahre hinweg gleich: Die Mehrheit, 77 Prozent aller Vorfälle zwischen 2015 und 2020, kam aus dem rechten Lager.“16
Sh. Indikator 23.
Klintworth, S. M. (2014); Eichhoff, J. (2010).
taz (01.08.2015).
Beck aktuell (2018): „Es besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für das Auffinden relevanter Daten. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die Betroffenen, deren Verein Zwiebelfreunde e.V. oder die Gruppierung „Riseup Networks“ auch nur zum Umfeld der unbekannten Täter gehören. Es ist zudem auch nicht unmittelbar ersichtlich, dass sich bei ihnen Informationen zum Täterumfeld oder zu den Tätern finden lassen.“
ZEIT Online (21. 06 2020).
Gewerkschaft der Polizei (2020).
Reporter ohne Grenzen (2019).
Gehringer, T. (2019).
ZEIT Online (2019).
Vgl. Indikator 30, vgl. auch Landesgericht München (2018): „Es besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für das Auffinden relevanter Daten. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die Betroffenen, deren Verein Zwiebelfreunde e.V. oder die Gruppierung “Riseup Networks“ auch nur zum Umfeld der unbekannten Täter gehören. Es ist zudem auch nicht unmittelbar ersichtlich, dass sich bei ihnen Informationen zum Täterumfeld oder zu den Tätern finden lassen.“
Ebd.
Reporter ohne Grenzen (2020).
Bundesverfassungsgericht (2020).
Hoppenstedt, M.; Knobbe, M. (16. 06 2020).
European Centre for Press & Media Freedom (2020), S. 27. „In der Vergangenheit erlebten viele Betroffene einen unzureichenden Schutz und teilweise sogar Behinderungen der Arbeit durch die Polizei. Neben der Sensibilität ist daher auch fundiertes Wissen im Presserecht erforderlich. Gerade Fachjournalistinnen und -journalisten, die konsequent über rechte Aktivitäten berichten, sind immer wieder mit Fehleinschätzungen und Fehlverhalten der Polizei konfrontiert (vgl. Röpke, A. (2018)). Oftmals, so berichten es Fachjournalistinnen und -journalisten, halten Polizeikräfte Angriffe von Neonazis für politische Streitereien zwischen Linken und Rechten.“
European Centre for Press & Media Freedom (2020), S. 3.