Rechtliche und ethische Aspekte des Internets
E.3
Wie nehmen Einzelpersonen die Vorteile, Risiken und Auswirkungen des Internets innerhalb des Landes wahr?
Indikator 128: Wahrnehmungen von Nutzen, Risiken und Auswirkungen des Internets, abgeleitet aus Haushalts- oder Meinungsumfragen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht
In der DIVSI-Studie (Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet) „Die Digitalisierung schreitet voran – Menschen voller Hoffnung und Optimismus“ von 2017 gaben 75 % der Befragten (84 % der befragten Männer, 68 % der befragten Frauen, in beiden Geschlechtern vor allem besser verdienende Personen mit einem höheren Bildungsabschluss) an, durch die Digitalisierung Vorteile für Deutschland insgesamt wahrzunehmen, 63 % sahen auch für sich persönlich vor allem Vorteile (68 % der befragten Männer, 58 % der befragten Frauen, in beiden Geschlechtern ebenfalls wieder vor allem besser verdienende mit einem höheren Bildungsabschluss).1
Lediglich 15 % der Befragten glauben, dass Deutschland durch die Digitalisierung eher Nachteile haben wird (9 % der befragten Männer, 20 % der befragten Frauen, in beiden Geschlechtern vor allem schlechter verdienende Personen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss). 20 % sehen für sich persönlich vor allem Nachteile, aufgeschlüsselt nach 15 % der befragten Männer und 24 % der befragten Frauen, ebenfalls mit einem Überhang in den Gruppen mit niedrigerem Einkommen und geringerer Bildung.2
Von DIVSI in 2018 befragte 14-24jährige3 sehen Schadprogramme und das Ausspionieren von Zugangsdaten ebenso wie Betrug als größtes Risiko online. Aber auch Stalking, Beleidung und Mobbing wird mit bis zu 40 % der Nennungen als durchaus großes Risiko wahrgenommen. Hier gibt es durchaus geschlechtsspezifische Unterschiede: junge Frauen nehmen zahlreiche Risikoaspekte häufiger wahr, Jungen beziehungsweise junge Männer sehen vieles etwas weniger häufig problematisch,4 mit einem starken Überhang im Bereich Stalking und Hasskommentare:
Auch eine Zunahme von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche lässt sich online deutlich verzeichnen. Studien zeigen, dass viele Minderjährige bereits persönliche Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen oder Cyber-Grooming im Netz gemacht haben.5
Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (2017), S. 9 und S. 11.
Ebd.
Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (2018), S. 72 ff.
Ebd., S. 76.
sh. z.B. Jugendschutz.net (2019).
E.4
Geben Internetnutzende an, dass sie von anderen Internetnutzenden in erheblichem Maße belästigt werden, was sie davon abhält, das Internet in vollem Umfang zu nutzen?
Indikator 129: Verfügbarkeit von Meldemechanismen für Online-Belästigung oder -Missbrauch, einschließlich Meldevorkehrungen von Online-Diensteanbietern
Im Bereich Jugendschutz können bei den einzelnen Landesmedienanstalten Beschwerden wegen des Verdachts auf Verstöße gegen die Menschenwürde, bei Hass oder volksverhetzenden Inhalten direkt eingereicht werden (z.B. auf der Webseite der Landesanstalt für Medien NRW), die einzelnen Landesmedienanstalten nehmen im Verdachtsfall jedoch auch eigene Prüfungen vor und melden das Ergebnis an die KJM. Unterstützt wird die KJM durch die an sie organisatorisch angebundene jugenschutz.net, welche sich auf das Thema Digitale Gewalt spezialisiert hat. Über deren Meldestellen können überdies Hassinhalte gemeldet werden, um sie auf jugendmedienschutzrechtliche Verstöße überprüfen zu lassen. Dieses Projekt wird ebenfalls vom Bund gefördert.
Als erstes Projekt seiner Art wurde 2017 die Initiative „Verfolgen statt nur Löschen“ gestartet. Es handelt sich um eine Kooperation zwischen der Landesanstalt für Medien NRW (LfM NRW) und der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Innerhalb der Initiative kooperieren die LfM NRW mit der ZAC NRW, eingerichtet bei der Staatsanwaltschaft Köln, dem Landeskriminalamt NRW und den Medienhäusern der Mediengruppe RTL Deutschland, Rheinischen Post und dem Westdeutschen Rundfunk. Ihr Ziel ist es, Hassrede nicht nur zeitnah aus Kommentarspalten zu entfernen, sondern strafbare Äußerungen gezielt zur Anzeige zu bringen. Weitere Bundesländer haben ähnliche Initiativen umgesetzt bzw. beteiligen sich an ähnlichen Projekten. Zusätzliche Meldestellen auf Bundesebene sind die Meldestelle „respect!“ gegen Hetze im Internet, bei der bedrohliche Inhalte entgegengenommen und geprüft werden. Beiträge, die den Tatbestand der Volksverhetzung, Beleidigung, üblen Nachrede oder Verleumdung erfüllen, leitet die Meldestelle dann den Plattformbetreibern mit der Aufforderung zur Löschung weiter. Fälle der Volksverhetzung nach §130 StGB werden von der Meldestelle zur strafrechtlichen Verfolgung angezeigt.1 Ähnlich funktioniert das hessische Angebot der Meldestelle „Hass melden!“2/„Hessen gegen Hetze“.3 Außerdem gibt es eine zentrale Meldestelle für rechtsextreme Inhalte im Internet von jugendschutz.net, die sich nach der Prüfung ebenfalls um das Entfernen der gemeldeten Inhalte bemühen.4 Hinzukommen die Meldestellen Antisemitismus für Baden-Württemberg5 und Report-Antisemitism (bundesweit).6
Als gesetzliche Grundlage für Maßnahmen gegen Digitale Gewalt und Hassrede fungiert das 2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) dass Plattformen und Intermediäre dazu verpflichtet, wirksames und transparentes Beschwerdemanagement zur Verfügung zu stellen und in § 4 NetzDG den Unternehmen mit erheblichen Bußgeldern droht. In 2020 wurde eine Novellierung vorbereitet, die auch den Blick des NetzDG in Bezug auf Hasskriminalität erweitert.7 Zu der Verbesserung der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität arbeitet auch das Bundeskriminalamt (BKA) am Aufbau einer Meldestelle für strafrechtlich relevante Netzinhalte. Das Gesetz sieht im Wesentlichen Verbesserungen im Umgang mit gemeldeten/strafbaren Inhalten vor: in Sozialen Medien geäußerte Drohungen, Beleidigungen oder Verleumdungen gegenüber Personen in der Kommunalpolitik sollen künftig unter das Strafgesetzbuch fallen.8 In bestimmten Fällen müssen große Plattformen wie Facebook oder Twitter beanstandete Inhalte nun nicht nur löschen, sondern sie auch an das BKA melden.9
Das Gesetz gegen Rechtextremismus und Hasskriminalität darf durchaus so verstanden werden, dass sowohl der Faktor Rechtextremismus wie auch die Geschlechterdimension in den Blick genommen wurde. Über die Bestimmungen des NetzDG hinausreichende Transparenzberichte10 der Plattform-Anbieter sind aber weiterhin nicht konkret vorgeschrieben, dabei wären diese mit Blick auf Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen und intersektional verschränkten Formen von zum Beispiel Hassrede sehr hilfreich. Gleiches gilt für eine Erweiterung der Kategorien der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes um die Kategorie Digitale (häusliche) Gewalt und Geschlecht und frauenfeindliche Tatmotive (Stichwort: Frauenverachtung als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit).11
Indikator 130: Daten über das Ausmaß, in dem Internet-Nutzende Belästigung oder Missbrauch melden, unter besonderer Berücksichtigung bestimmter demographischer und sozialer Gruppen (einschließlich Frauen, ethnischer und anderer Minderheiten sowie Menschen, die sich für die Rechte der Bevölkerung einsetzen)
Die Zahlen des Bundeskriminalamts zum Komplex Hassrede zeigen: ein Großteil der Hasskommentare (77 %) „lässt sich dem rechtsextremen Spektrum zuordnen, knapp 9 % der Kommentare sind linksextrem“.12 Die verbleibenden 14 % sind anderen Ideologien zuzuordnen oder weisen keine besondere politische Motivation auf.
Mit Blick auf eine geschlechtsspezifische, intersektionale Komponente im Bereich Hassrede kam die bundesweit repräsentative Studie „#Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie“ im Juni 2019 zu dem Ergebnis, dass etwa 14 % der Menschen mit Migrationshintergrund bereits von Hassrede angegriffen wurden, gegenüber 6 % der Menschen ohne Migrationshintergrund.13
Die 2018 publizierte Studie „Hass auf Knopfdruck“ von Institute for Strategic Dialogue (ISD) und der Facebook-Aktionsgruppe #ichbinhier zeigt darüber hinaus, dass eine erhebliche Zunahme von koordiniertem Hass online festzustellen ist. Nach der Analyse von über 1,6 Millionen rechtsextremen Posts in sozialen Medien (Twitter und öffentliche Facebook-Seiten) im Zeitraum von Februar 2017 bis Februar 2018 haben einerseits explizit rassistische, antimuslimische und antisemitische Posts seit dem Inkrafttreten des NetzDG im Oktober 2017 abgenommen, andererseits aber sind koordinierte rechtsextreme Online-Hasskampagnen seit Dezember 2017 im Schnitt mehr als dreimal so häufig wie in den vorangegangen Monaten. Außerdem zeigt die Studie auf, dass es in diesen Kampagnen vielfach darum geht, gezielt Menschen in der Politik, Medienschaffende und politisch aktive Menschen unter Druck zu setzen und einzuschüchtern.14
Amnesty International bestätigte überdies in 2018, dass „Frauen mit dunkler Hautfarbe, Frauen religiöser oder ethnischer Minderheiten, lesbische, bisexuelle, transsexuelle oder intersexuelle (LBTI) Frauen, Frauen mit Behinderungen oder nichtbinäre Personen, die den traditionellen Geschlechternormen von Männern und Frauen nicht entsprechen, [im Internet] oft Formen von digitaler Gewalt ausgesetzt sind, der sie auf einzigartige oder besondere Weise betrifft.“15
An gleicher Stelle weist Amnesty International darauf hin, dass Frauen wie Feministinnen, die sich gezielt für Frauenrechte einsetzen, und Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, wie Journalistinnen und Politikerinnen, besonders von Hassrede betroffen sind.16 Diese Verquickung von Vulnerabilitäts-Faktoren bestätigt auch, was das vom Europarat gegründete No-Hate Speech-Movement festhält: „Wenn man sich anschaut, welche Frauen von Hassrede betroffen sind, fällt auf: Neben muslimischen und geflüchteten Frauen betrifft dieses Phänomen vor allem Feministinnen und jene, die in der Öffentlichkeit stehen.“17
Zwar finden wir in Deutschland kaum konkrete Zahlen für diesen Komplex, doch legt die internationale Studienlage nahe, dass ähnliche systemische Diskriminierungsmuster sich auch hier in gleicher Form tradieren.
Die derzeit aktuellste vorliegende Studie #Hass Im Netz zu den Erfahrungen deutscher Internetnutzenden mit Hassrede im Internet zeigt deutlich, dass Menschen, die Hassrede erfahren, sich nicht selten aus dem Internet zurückziehen. Sogenanntes, durch Hassrede hervorgerufenes Silencing wird oftmals gezielt eingesetzt, um gegen bestimmte (marginalisierte) Gruppen vorzugehen. Fast immer zieht dies mit Blick auf die Verursachenden keine rechtlichen Konsequenzen nach sich, führt aber nicht selten erfolgreich zu einem Rückzug der Betroffenen; fast die Hälfte (47 %) der Befragten ab 18 Jahren in Deutschland bestätigten die Aussage: „Ich selbst beteilige mich wegen Hassrede seltener an Diskussionen im Netz.“18 Ebenso macht diese Studie deutlich, gegen welche Gruppen in Deutschland Hassrede beobachtet wird: dazu gehören mehrheitlich Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen muslimischen und jüdischen Glaubens, Geflüchtete, Frauen, Menschen, die nicht dem aktuellen Schönheitsideal entsprechen, homo- und transsexuelle Menschen, finanziell schlechter gestellte Menschen und Menschen mit Behinderung.19
Zu diesem Kapitel sind Empfehlungen für verschiedene Stakeholder in Kapitel 8 zusammengefasst.
Demokratiezentrum Baden-Württemberg (2020a).
Hassmelden (2020).
Hessen gegen Hetze (2020).
Hass im Netz (2020).
Demokratiezentrum Baden-Württemberg (2020b).
Report Antisemitism (2020).
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2020).
Ebd.
Ebd.
Transparenzberichte, sh. z.B. Facebook (2020).
Deutscher Juristinnenbund (2019).
Bundeskriminalamt (2019) und, generell: Bundeskriminalamt (2020).
Geschke, D. et al. (2019), S. 23.
Ebner, J. et al. (2018); Dominat in diesem Feld ist die Identitäre Bewegung, deren Hashtags regelmäßig von AfD-Accounts und von russischen Medien wie RT und Sputnik aufgegriffen werden.
"In the case of online violence and abuse, women of colour, religious or ethnic minority women, lesbian, bisexual, transgender or intersex (LBTI) women, women with disabilities, or non-binary individuals who do not conform to traditional gender norms of male and female, will often experience abuse that targets them in a unique or compounded way" Amnesty International (2018), Kapitel 2.
Ebd.
Geisler, S. (2016).
Geschke, D. et al. (2019), S. 28.
Ebd., S. 20